169_Götter

Liebe Leser,

vor ein paar Jahren hatte ich die aberwitzige Idee, dass es irgendwie gut wäre, alle bisher gesendeten Tatort-Kriminalfilme gesehen zu haben. Letzten Sonntag erschienen Bibi und Moritz in der eintausendeinhundertundsiebenundsechzigsten Tatort-Folge. Wenn man alle Filme gesehen hätte, wären das 1.167 x 90 Minuten gewesen, das sind nach Adam Riese knapp 73 Tage. Kann man sein Leben sinnvoller und gesünder verbringen, als über zwei Monate ununterbrochen, Tag und Nacht, Tatort zu glotzen?

Zum Glück ist es nicht möglich, all diese Filme chronologisch anzuschauen, sonst wäre ich geneigt, mein fortgeschrittenes Leben entsprechend zu vergeuden. Vergeuden ist genau richtig gesagt, denn die meisten dieser Kriminalfilmwerke sind ja doch eher von bescheidener Qualität. Im Grunde sind es nur die seltenen launigen Dialoge über das Privatleben von Leitmayr und Batic, von Borowski, von Bönisch, Odenthal, Bootz und dem gemütlichen Bienzle, die es bringen — die Fälle an sich sind ja meist langweilig.

Was mir in letzter Zeit aufgefallen ist: Weil es in der Fernsehwerbung und in den Zeitschriften nicht mehr erlaubt ist, Zigarettenwerbung zu schalten, hat die Tabakindustrie schon vor Jahren die Tatortserie aufgekauft, um dort hemmungslos genussvoll rauchende Menschen zu zeigen. In so gut wie jeder Folge gibt es entsprechende Szenen. Menschen, die sich nach gutem Sex im Bett die köstlichen Glimmstengel reichen, gestresste Kommissare, die das brauchen, um wieder ins Lot zu kommen. Oft wird gleich am Anfang der Filme geraucht, damit die Werbewirkung sogar bei den Zuschauern bleibt, welche nach 15 Minuten gelangweilt um- oder ausschalten.
Zusätzlich hilft man mit dieser Maßnahme auch den Schauspielern, damit sie wissen, wohin mit ihren Händen in den diversen belanglosen Spielszenen. Wie auch immer: Mich ficht das an. Ich habe noch nie eine Zigarette gebraucht, um mich zu entspannen, da ist mir ein gelegentliches Glas Jim Beam auf Eis wesentlich lieber, das teert zumindest nicht das Lüngerl.

Heute habe ich erfahren, dass die Bayerische Staatsregierung spontan beschlossen hat, dass nach einer zweitägigen Eröffnungserlaubnis wieder alle Fitness-Studios schließen müssen. Das Kreisverwaltungsreferat behauptet zur Begründung, dass Fitnessstudios nicht als Sport-, sondern als Freizeiteinrichtungen zu bewerten sind. Fein ausgedacht. Dass man Fitnessstudios in seiner Freizeit besucht und nicht während der Arbeitszeit, das hat das Kreisverwaltungsreferat super erkannt. Langsam beschleicht mich der Verdacht, dass man den Virus installiert hat, um die Verfettung des Volkes voranzutreiben. Für den Teer sorgt ja bereits der Tatort. Querdenker, haha!

Aber niemand kann etwas für das alles. Wenn man die sechs Staffeln „Vikings“ geschaut hat (so wie der Zinkl und seine Liebste) weiß man ganz genau, dass für ALLES die heidnischen Götter die Verantwortung tragen, ALLES ist deren Wille und Absicht, einfach ALLES.
Wenn die Schildmaid Lagertha ihrer Konkurrentin Aslaug einen tödlichen Pfeil in den Rücken schießt, oder dass Harald Schönhaar einfach keine reizende Gattin finden kann, die mit ihm den Thron des Königs von Norwegen teilen mag: Das ist der Wille der Götter. Der einzig Vernünftige ist da noch Ivar der Knochenlose, welcher sich selbst zum Gott ernannt hat — damit übernimmt er zumindest Verantwortung für seine schreckliche Grausamkeit und auch dafür, dass er seine Geliebte Freydis erwürgt, weil sie ihm ein missgebildetes Kind aus einem One-Day-Stand untergeschoben hat.

Wenn das heidnische Kreisverwaltungsreferat beschließt, dass das Schwimmbad im Body and Soul-Fitness ein ganz arger Coronavirenträger ist, dann hat es mit großer Sicherheit die Götter befragt und die haben ihm ins verfettete Beamtenohr geflüstert: Jawohl, so ist es, schließt alles! Und was die Götter wollen, das muss getan werden, das war schon vor 2,5 Millionen Jahren so, als die Affen so langsam anfingen zu glauben.

Um bei den Wikingern zu bleiben: Natürlich haben der allmächtige Christengott und sein Sohnemann eine ähnliche Autorität. Auch sie wissen alles und haben alles im Griff und tragen die Verantwortung für alles Ungute, was geschieht in der Menschenwelt. Die christlichen Sachsen in England und die christlichen Rus aus Kiev foltern und morden mit der Gewissheit, dass ihr Jesus das selbstverständlich abnickt. Und weil sich die heidnischen Götter und die christliche Dreifaltigkeit nicht ganz grün sind, gibt es immer einen guten Grund, dass sich die jeweiligen Glaubensgemeinschaften umfangreichen blutbäderischen Gemetzeln hingeben. Gut so, denn ohne Gemetzel würde der Serie Vikings das Salz in der Suppe fehlen. Immer wieder erbaulich, wenn sie brüllend aufeinander prallen und sich gegenseitig die Köpfe abhacken. Die Götter wollen es so, ich sehe es auch gerne, zu Rotwein und Kartoffelchips.

Leider bin ich Atheist und habe deshalb kein Überwesen, das ich belangen kann, wenn mir mal wieder stechende Herpesbläschen an der Unterlippe wachsen. Es ist nicht immer leicht, ein Atheist zu sein, das könnt’ ihr mir glauben, liebe Freunde. Aber Religiosität kann man sich halt nicht so einfach kaufen wie einen neuen Ledergürtel.

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