174_Autokino

Liebe Leserinnen und Leser,

das Autokino Aschheim wurde 1967 gegründet. Dort liefen so bedeutende Filme wie das erotische Meisterwerk Josephine Mutzenbacher, aber auch Winnetou und das Halbblut Apanatschi, eine der schwächeren Karl May-Verfilmungen, mit der taufrischen Uschi Glas als Halbblut Apanatschi.
Mein Vater interessierte sich sehr für dieses sagenhafte Autokino, heute würde man sagen: „Das ist der neue heiße Scheiß“. Damals sagte man so etwas noch nicht. Da ich und meine Schwester Cornelia ebenfalls mit dabei sein durften und Mutzenbacher nichts war für Kinder, entschied sich Papa Zinkl für Winnetou — damit war Zinkl junior hochzufrieden, denn er sympathisierte außerordentlich mit Lex Barker und Pierre Brice.

Ich weiß von dieser Unternehmung (ich war sieben oder acht) noch dreierlei:
1) Der Ketchup auf den Pommes roch und schmeckte eklig, was dazu führte, dass ich die nächsten 15 Jahre diese tomatige Flüssigkeit meiden würde wie der Teufel das Weihwasser.
2) Der lächerliche Mono-Lautsprecher, den sich mein Vater in den Ford Taunus holte, knisterte und krächzte derart, dass man kaum etwas von den Dialogen verstehen konnte.
3) Der Film musste nach einer halben Stunde abgebrochen werden, weil Nebel aufgekommen war, so dass man Old Shatterhand nur noch wie durch einen dichten grauen Schleier wahrnehmen konnte. Kleiner Tipp am Rande: Das Autokino Aschheim nicht unbedingt im November konsultieren.

Diese Kindheitserfahrung war so prägend, dass ich jenen Freiluftsaal und auch alle anderen Autokinos zeit meines langen und kinoreichen Lebens nie mehr besuchen würde. Bis auf gestern abend.
Alexandra wollte gerne den neuen Film mit Sigi Zimmerschied in der Hauptrolle sehen, und weil Weißbier im Blut nirgendwo in München lief, jedoch allerdings im AUTOKINO ASCHHEIM, war dies DIE Gelegenheit zu prüfen, wie intensiv der Zahn der Zeit an dieser legendären Institution genagt hatte.

Man schrieb den 30. Juni 2021, mit Nebel war also kaum zu rechnen. Evtl. mit Nieselregen, aber dieses Risiko waren wir bereit einzugehen. Der Film sollte um 22 Uhr beginnen, und weil der Zinkl bei Unternehmungen grundsätzlich, wegen diverser Erwägungen, immer gern sehr zeitig dran ist, verließen wir schon um 21 Uhr die Tiefgarage am Josephsplatz, um den Benz in Richtung Osten zu navigieren.

Tatsächlich hätten wir uns ohne Navi rettungslos verfahren, denn das besondere Areal liegt gut versteckt irgendwo in der Aschheimer Pampa und nachts sind ja auch alle Katzen grau. Ich hatte schon in München online bezahlt und den QR-Code auf dem iPhone parat — der freundliche Herr an der Einfahrt konnte ihn problemlos scannen. Hach, war das alles aufregend! Ich und mein Mädel im Autokino Aschheim!

Gut, dass wir so früh dran waren! So durften wir direkt vor der Leinwand in der ersten Reihe parken, mit optimaler Sicht auf das filmische Geschehen. Alexandra spendierte uns ein ordentliches Tüterl mit süßem Popcorn, ihr selbst noch ein Magnum und mir ein Eiskonfekt. So muss Kino! Und das Allerbeste: Wir durften uns den Film ohne FFP2 anschauen — das nenne ich wahren Luxus in diesen Coviddelta-Zeiten.

In den letzten 54 Jahren hat sich die Autokino-Audiotechnik ein wenig verbessert. Kein krächzender Billiglautsprecher mehr, sondern die 99,8 MHz-Frequenzangabe für das Autoradio. Diesmal gab es fetten Kinosound also aus der sorgfältig equalizierten Vier-Lautsprecher-Stereoanlage vom Zinklbenz. Nicht dass wir uns einen Actionfilm geben wollten, das war von dem beschaulichen Niederbayern-Krimi kaum zu erwarten. Und Sigi Zimmerschied ist ja auch kein Jackie Chan, Gott sei Dank also keine Hektik und keine Stakkato-Bildschnitttechnik. Aber ein guter Klang ist doch immer was Schönes.

Rechtzeitig zu Beginn des Films fing es an zu nieseln. Die Windschutzscheibe wurde Tröpfchen für Tröpfchen gleichmäßig benetzt, aber weil in Weißbier im Blut ein durchgehend trübes graubraunes Ambiente gezeigt wird und niederbayerische Einöde ohne Sonnenschein, hat das stimmungsmäßig gut dazugepasst. Irgendwie 3D-effektisch.

Herr Zimmerschied spielt einen heruntergekommenen, gleichgültigen Kommissar, der sich jeden Abend in einer trostlosen Wirtschaft, in welcher er der einzige Gast ist, mit viel Weißbier und Schnaps volllaufen lässt. Das macht er hervorragend.
Ein paar Tage vorher hatte ich ihn im BR-Stammtisch im Sonntagvormittagsfernsehen reden hören: Das sei die Rolle seines Lebens, der Kreuzeder sei ein Typ, der Illusionslosigkeit, Anarchie, aber auch Humanismus in sich vereine. In diesem Sinne löst er ganz entspannt den Mordfall. Wie bei den morbiden Austriakrimis mit Josef Hader gibt es keinen fröhlichen Klamauk, dafür viel feinen trockenen Humor, ein paar Stamperl Skurrilität und einen Seitenhieb auf die katholische Kirche (für einen Zimmerschied obligatorisch). Mehr verrate ich hier nicht, deshalb: kein Spoileralarm.

Mir hat das Lichtspiel jedenfalls gefallen, das Drehbuch hat gewisse Schwächen (Zimmerschied als Womanizer), das ausgiebige Zelebrieren von Bier- und Schnapsgesaufe störte mich, aber gut, das erforderte halt die Rolle — und es war für mich außerdem eine Premiere und Freude, während eines Kinobesuchs die Scheibenwischeranlage meines Mercedes immer mal wieder aktivieren zu dürfen. Alexandra hätte sich mehr eine Gaudi wie beim Eberhofer vorgestellt, aber das Kaiserschmarrndrama ist ja nicht mehr in allzuweiter Ferne. Ob wir es ebenfalls wieder an dieser ganz besonderen Örtlichkeit anschauen werden, ist noch nicht ausgemacht — ich bin nicht abgeneigt.

 

PS.: Es könnte auch sein, dass ich 1968 Winntou und Old Shatterhand im Tal der Toten gesehen habe, im Autokino Aschheim, und nicht Uschi Apanatschi. Meine Erinnerung ist da trügerisch, aber eines ist sicher: der Nebel verkürzte den Film drastisch, das habe ich nicht vergessen…

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