Liebe Lesexxxxxx
(diese neue Art der Anrede ist meinen Erkenntnissen aus Blog Nr. 176 geschuldet),
vor einigen Tagen war ich mal wieder mit Alexandra unterwegs, wir machten eine frühabendliche München-Nord-Radltour, auf dass uns frischer Wind die muffige Büroluft aus den Köpfen brause. Diesmal ging die fröhliche Fahrt in die Fröttmaninger Heide, dahin kommt man von mir aus über den Petuelring, streift das Hasenbergl, durchpflügt den Kieferngarten, lässt die Allianz Arena rechts liegen, bis man schon fast in Garching ist.
Wenn man so gemütlich durch Stadt und Land rollt, fällt der Blick unmittelbar auf spezielle weiße und gelegentlich auch hellblaue Objekte, die am Wegesrand oder mitten auf der Straße vor sich hingammeln. Es sind armselige Geschöpfe, die von hemmungslosen Menschen respektlos — absichtlich oder unabsichtlich — „entsorgt“ worden sind, nachdem sie zuverlässig ihre Pflicht getan haben. Ich vertrete ja die Ansicht, dass die allermeisten Gebrauchten von ihren Besitzern aus purer Boshaftigkeit auf den Boden geschmissen werden, als Zeichen der Verachtung und des Hasses ihnen gegenüber — Alexandra dagegen glaubt immer noch an das Gute im Menschen und dass die Dinger einfach versehentlich runtergefallen sind.
Man findet die FFP2s und ihre Artverwandten auf dem Asphalt, auf gepflasterten Gehsteigen, im Gebüsch und auf Rasenflächen, neben Gullis, Autoreifen und zwischen Zigarettenkippen und sonstigem Müll. Sie verharren in schmuddeligen Nischen, verdreckt, zertreten, durchnässt, von Ameisen und Nacktschnecken belästigt.
Viele jedoch liegen auch da fast noch wie in jungfräulicher Reinheit — benutzt und weggeworfen. Eine Schande ist es, ein Verbrechen gegen die Dinglichkeit. Niemand beachtet diese Parias, keiner will sie berühren, sie könnten infiziert sein.
Der Zinkl hatte die Idee schon manchesmal, aber diesmal war er gewillt, die Sache in die Tat umzusetzen: Er begann, jedes dieser Fundstücke mit seinem iPhone abzufotografieren, genauso wie es dalag, ohne weitere Dekorationsmaßnahmen vorzunehmen — eine schliche Real Life-Dokumentation über Opfer der Pandemie in Millionenhöhe, über die niemand spricht und über die niemand trauert.
Während der knapp zweistündigen Radfahrt konnten wir 61 dieser ästhetischen Kunstobjekte aufspüren und ablichten — es war nicht schwer sie zu finden, sie strahlen einem ja förmlich entgegen, selbst noch, wenn sie von den widrigen Umständen der Umwelt, durch Wind und Wetter, verschmutzt, zerdrückt und gelegentlich auch noch zerrissen worden sind.
Als es dunkel wurde, half mir Alexandra, mit ihrem Fahrradlicht die fahlen Kinder der Nacht zu bestrahlen, damit ich meine fotografische Tätigkeit nicht abbrechen musste. Ich bedanke mich für ihre große Geduld, denn in dieser Gegend, in welcher wir uns bewegten, fand sich eine tote FFP2 mindestens alle zwanzig Meter.
Erst wenn man sie sammelt, wird einem bewusst, dass alleine in München und Umgebung Tausende und Abertausende von diesen Leichen herumliegen müssen, unbeerdigt, es ist fast wie bei der Zombie-Serie „The Walking Dead“. Apropos Sammeln: Wir nahmen sie selbstverständlich nicht mit, wir überließen sie ihrem weiteren Schicksal, nachdem sie Modell gestanden, ähm, gelegen hatten. Das Leben ist kein Ponyhof, erst recht nicht für eine FFP2.
Nun: Was tun mit diesen Bildern? Natürlich! Ein Kunstwerk schaffen, was denn auch sonst? Ich begann zu planen: Um eine Fläche mit den Maßen 1 x 1 Meter — gleich einem Mosaik — mit kleinen, lauter gleichgroßen quadratischen Bildchen zu bestücken, bräuchte man bei einer Bildgröße von 10 x 10 cm insgesamt, nach Adam Riese, hundert Maskenleichenfotos.
Beeindruckender wäre es freilich, eine Fläche von 5 x 5 Metern anzulegen, aber dafür würde ich dann 2.500 Fotos benötigen! Die ließen sich in in einigen Wochen sicher finden, aber für ein solches Monsterbild fehlt mir die Werkstatt, also beließ ich es bei der Planung von einem Quadratmeter.
Am nächsten Tag machte ich mich gleich wieder auf den Weg, auf erneuten Beutezug, diesmal in Schwabing und Neuhausen. Das war schon gleich nicht mehr so üppig, liegt es am sozialen Gefälle? Diese Spekulation lasse ich gerne bleiben — um das wissenschaftlich zu untermauern, müsste ich meine Maskensuche auf Bezirke wie Neuperlach, Pasing, Sendling und Solln ausweiten.
Nach einer Stunde Herumradelei hatte ich aber dann doch 18 weitere Kameraden aufgespürt — niemand kümmert sich um einen Freak, der herumliegende Masken als begehrenswerte Fotomotive erachtet. Bei einer Bushaltestelle lag eine hübsche blaue auf dem Boden, die danebenstehende Dame meinte zu mir: „Des ist fei net meine.“ Vermutlich fürchtete sie, ich wäre vom Ordnungsamt.
Inzwischen habe ich in meinem Fundus mehr Exemplare, als ich für die Collage brauche. Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu fotografieren. Achtung: Suchtfaktor! Es wird mich künftig große Überwindung kosten, wenn ich unterwegs bin, abzulassen von meinem Dokumentationsdrang.
Eine besondere Delikatesse für den Grafik-Designer Zinkl war es dann letztendlich, hundert ausgewählte Bildchen zu sortieren und harmonisch zusammenzufügen, zu einem Großformat, welches den geneigten Betrachter zu entzücken weiß.
Ich finde, das Werk ist gelungen:
Ich werde davon einen hochwertigen Fotoabzug machen lassen, aufgezogen auf einer stabilen Alu Dibond-Platte. Und dann das Kunstwerk in meine Wohnung hängen, vielleicht ins Schlafzimmer übers Bett, das wird sich noch zeigen.
Wer von euch, liebe Lesexxxxxx, das gleiche Bild haben will, mag sich gerne an mich wenden, ich kann das für euch günstig organisieren. Normalerweise ist so ein Exemplar ja locker 25.000 Euro wert, aber ich lasse mit mir handeln — es ist für einen guten Zweck: ein respektvoller Nachruf auf die Verachteten und Vergessenen, die uns in der größten Not so selbstlos beigestanden haben.
Das Werk ist zudem ein Beweis für die Nachwelt, was die Pandemie auch für die Umwelt bedeutet hat. Und natürlich ist die Collage ein eindeutiges Kind einer ganz speziellen Ära, denn vor 2020 war es nicht möglich, eine solche zu erschaffen — und in 2023 wird es vielleicht auch nicht mehr möglich sein, obwohl … darüber möchte ich lieber keine Prognose abgeben.
Hallo lieber Bruder – ich befinde mich gerade in Kroatien – da könntest Du ein solches Bildchen nicht machen – da liegt nirgends eine Maske rum (nicht mal auf den Nasen/Mündern der Bevölkerung!)
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Igitt. In Wuppertal gibt’s ein Museum für Ekelkunst, die haben vielleicht Interesse an dieser Sammlung. Noch beeindruckender wären Fotos von dir, auf denen du als Aktionskünstler diese Masken trägst. Für mich ist das nix.
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Kay Krüger schrieb:
„Dein Kunstwerk einer pandemiedokumentarischen Sozialplastik hat was!
Mit deinem Einverständnis werde ich dies SZ (Lokal München/ Leute/ Kultur … o.ä ) und AZ zur Kenntnis bringen. Ich finde, das Kunstprojekt hat irgendwie Potential für eine die Reichweite des Z-Blogs übersteigende Aufmerksamkeit.“
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