Liebe Leserschaft, liebe Lesende,

wenn man als männliches Wesen im dritten Drittel des 20. Jahrhunderts in München geboren worden und in Markt Schwaben einigermaßen sorglos aufgewachsen ist und auch noch einen einträglichen Beruf erlernt hat, könnte man davon sprechen, den fetten Jackpot geknackt zu haben. „Glücksach“ hieß eine Folge der legendären Münchner Geschichten vom Herrn Dietl. Genau. Rein zufällig saumäßiges Glück gehabt.

Wenn man als männliches Wesen vor beispielsweise zwanzig Jahren in Herat oder Masar-e Scharif geboren worden wäre, rein zufällig, dann hätte es gut sein können, dass man in seiner Kindheit von bärtigen Turbanträgern eine ganz besondere Gehirnwäsche bekommen hätte, die einem eintrichterte, dass man über die Frau zu gebieten habe und die einzig wahre Religion kenne. Da kann man sich als Kind nicht dagegen wehren und man lebt und verhält sich dann halt auch so, unter Umständen ein Leben lang. Ein solcher Mensch könnte natürlich auch behaupten, dass er rein zufällig saumäßiges Glück gehabt hat.

Ich will damit andeuten, dass wir alle höchstwahrscheinlich nicht Kinder Gottes sind, sondern winzige Kugeln in einem Monsterroulette, welches nicht von Göttern, sondern vollautomatisch von der Kraft des Universums gedreht wird. Wo man auch reinplumpst, man hat damit fertig zu werden.

Die Kugeln, die in Markt Schwaben reinplumpsen, bekommen gesteckt, dass Jesus das Lamm Gottes ist. Die Kugeln, die in irgendwelche Berghöhlen Afghanistans reinplumpsen, bekommen andere „endgültige“ Wahrheiten eingeflößt. Solche Wahrheiten in Markt Schwaben oder in Afghanistan haben beide mit Logik und Wissenschaft nichts zu tun, es sind Geschichten, die sich Menschen ausgedacht haben, um andere zu knechten oder anderen zu helfen. Geschichten, die Leute verbreitet haben, um ihr Ego und ihr Wohlbefinden und Überleben zu stärken, mit welchen Mitteln auch immer.

Es ist ein Elend. Man kann ja nicht viel machen, wie gesagt, man ist bloß eine kleine Kugel, die ohne eigene Kraft und ohne Mitbestimmung herumgewirbelt wurde und in irgend einem Dreck liegen blieb.
Es ist freilich einfach, diese Sachlage mit solch’ simplem „philosophischem“ Abstand zu betrachten. Das kann ein mittelalter bequemer Markt Schwabener in seiner Komfortzone auch wesentlich leichter, als ein Talibanjüngling, der sich täglich den Wüstenstaub aus dem verfilzten Bart herausbröseln muss und nicht den Luxus eines e-Bikes genießen kann, bei Kaiserwetter.

Die Taliban sind so, wie sie erzogen wurden. Die Markt Schwabener auch. Es gibt gute und schlechte Markt Schwabener. Gibt es auch gute und schlechte Taliban? Was ist gut und was ist schlecht? Ist das Gendern gut? Ich komme immer wieder auf das G-Thema zurück, weil es in den deutschen Medien und sozialen Plattformen nach wie vor heiß diskutiert wird, als wäre es von wesentlicher Bedeutung, um die Gleichstellung aller Geschlechter zu forcieren. Von solchen Diskussionen sind Leute wie die Taliban verschont, die haben völlig anderes im Sinn. Was genau, weiß ich nicht, sie sind mir so fremd wie Aliens auf dem Planeten Sirius, ja, noch fremder.

Aber eines weiß ich: Es ist alles Glücksach. Man kann rauchen und saufen und fröhlich 95 Jahre alt werden. Man kann ein Leben lang gesund essen und drogenfrei leben und hat trotzdem über Jahrzehnte unter schmerzhafter Krebsbehandlung zu leiden. Es gibt keine Gerechtigkeit, es gibt nur Glück oder Pech. Und vor allem gibt es den Zufall. Davon bin ich fest überzeugt: Die einzig wahre Religion ist der Glaube an den puren Zufall. Der Glaube an den Zufall lässt alles offen, er lässt auch keinen Fanatismus zu, weil jederzeit alles möglich ist und alles gelten kann. Ob der Glaube an den Zufall allerdings auch Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit mit sich bringt: des woaß i ned, weil ois woaß i a ned.

Wenn ich auf der Straße radle und ein Autofahrer ist von seinem Smartphone zwei Sekunden abgelenkt, kann ich auf der Stelle tot sein. Zufall. Wenn ich heute noch Lotto spiele, kann ich schon morgen um 90 Millionen Euro reicher sein. Zufall. Okay, ein höchst unwahrscheinlicher Zufall, aber es ist einer. Was denn sonst?

Ist das traurig oder tröstlich? Dass auch ein freundlicher Mann namens Jesus — so wie vielleicht Tausende von anderen mehr oder weniger freundlichen Männern — am Kreuz getötet wurde, das muss einen nicht wundern. Das war damals so üblich. Muss es einen wundern, dass NUR er und nicht die anderen tausend Hingerichteten noch über 2.000 Jahre danach einer der berühmtesten Menschen ist? Ist das Zufall? Es gab Leute, die sehr nachhaltig dafür sorgten, dass er nicht vergessen wurde, aus unterschiedlichsten Gründen. Aber trotzdem, das ist schon erstaunlich, was gute Geschichten für eine Wirkung entfachen können — auf so lange Zeit.

Als ich letzte Woche eine sonnige Radltour von München nach Wasserburg unternahm, begegnete mir das Abbild von Jesus am Kreuz sehr oft. Am grünen Wegesrand, in den Kirchen, in Gaststätten. Allgegenwärtig, der Mann, immer noch. Es ist direkt surreal, wenn man darüber nachdenkt. Hätte damals Jesus die Stadt Jerusalem gemieden und wäre stattdessen an einer schlimmen Krankheit gestorben, wäre mir die Sicht auf sein besonderes Leiden auf meiner Radltour komplett erspart geblieben. Kein Gekreuzigter nirgendwo, dafür vielleicht die Holzschnitzerei eines Mannes im Krankenbett. Oder eines Dromedars, welches vor 2.000 Jahren in einem Ort namens Wurzlbach sprechen konnte.

Ich bin froh, dass ich hier sitzen kann und das hier niederschreiben. Das ist ein großes Glück. Ein Glück, welches aktuell tausende arme Frauen und Kinder im A-Land nicht haben. Weil sie rein zufällig in dieses Land hineingeboren wurden, in welchem es solche Männer gibt wie die Taliban. Ich wünsche ihnen alles Gute, dass es erträglich wird.

Dieser verfluchte Zufall, er lässt sich einfach nicht planen und bezwingen und anbeten. Machen wir das Beste draus, wo auch immer wir hineingeboren worden sind.

 

P.S.: Ich habe bisher Bekanntmachungen über neue Zinkl-Blogs über eine umfangreiche Mail-Liste an Freunde und Bekannte versendet. Das werde ich künftig bleiben lassen, weil ich nicht aufdringlich sein will. Wer meine Blogs gerne liest, kann sich jederzeit hier auf dieser Website eintragen und wird dann nicht rein zufällig sondern vollautomatisch informiert, wenn es was Neues zu lesen gibt. Oder er/sie/es kann ja immer mal wieder online gehen und nachschauen, was los ist.

abstand-linie