186_menschheit

Liebe Zeitreisende,

da ich aktuell wegen meines lädierten Fußknöchels an Heim, Herd und TV gebunden bin und mein Leben als Liegender, Sitzender, Rollender, Krebsender verbringe, habe ich ausreichend Zeit, um mir Gedanken zu machen über Dinge, die ich nicht im Griff habe.

Zum Beispiel habe ich meine Waschmaschine von Siemens nicht im Griff. Ihre Bedienungsmöglichkeiten sind so komplex, dass sie mich verwirren. Und da ich grundsätzlich keine Bedienungsanleitungen lese, werde ich das komplexe Gerät wohl auch nie beherrschen. Es beherrscht dafür mich.
Manchmal ist Siemens „fertig“ mit der Arbeit, ohne geschleudert zu haben. Dann drehe ich ratlos solange an den Waschvorgangsmöglichkeiten herum, bis Siemens wieder ganz von vorne beginnt, für erneute 210 Minuten. Das ist nicht schlimm, aber es nervt irgendwie.

Was habe ich noch alles nicht im Griff? Ich kann beispielsweise nicht genau sagen, wann mir der Gipsverband endlich abgenommen werden wird, damit ich aufhören kann, auf dem rechten Bein aufs Klosett zu hüpfen. In vier Wochen, heißt es. Eine Ewigkeit!

Apropos Ewigkeit! Was war eigentlich los in Bayern vor Millionen von Jahren? Hat mich heute mal interessiert. Gab es schon Autobahnen? Gab es die Münchner Staatskanzlei? Pah, nichts davon gab es! Google hat mich aufgeklärt.

Im Allgäu beispielsweise durchstreiften urzeitliche Tiere dichte Wälder und Flusslandschaften, unter ihnen Schildkröten und Pferde. Auch Überreste von Hyänen hat man dort schon gefunden. Unglaublich: Hyänen in Bayern!
Und jetzt kommts: Forscher entdeckten in einer Tongrube eine unbekannte Primatenart. Der Danuvius guggenmosi (kein Zinklscherz!) hat vor 11,6 Millionen Jahren gelebt. Dieser mögliche Vorfahr von Mensch und Menschenaffe konnte bereits auf zwei Beinen laufen, das haben die Wissenschaftler festgestellt. Der erste Bayer! Das war noch kein Mensch, aber ein echter Allgäuer durchaus.

Knochenfunde des ersten Lebewesens der Gattung Homo hat man allerdings in Ostafrika gefunden. Der Rudi (Homo rudolfensis) lebte vor 2,5 Millionen Jahren und studierte Maschinenbau. Ist natürlich Quatsch, aber mit einfachen Werkzeugen aus Stein und Holz konnte er umgehen. Mit Feuer allerdings noch nicht. Es sollte noch 700.000 Jahre dauern, bis der Urmensch herausgefunden hatte, wie man zündelt. Ganze 700.000 Jahre!
Wenn man annimmt, dass der Früchte, Schwammerl, Kakerlaken, lebendige Kröten und rohes totes Hasenfleisch verzehrende Urmensch unter den harten afrikanischen Bedingungen nicht älter als 35 Jahre geworden ist, dann dauerte es also ungefähr 20.000 Generationen, bis Rudis Nachfahren herausfanden, dass gegrilltes totes Hasenfleisch auch was Gutes ist.

Dagegen hat es gerade mal bloß vier Generationen gedauert, bis es der moderne Mensch (von der industriellen Revolution Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts nach Chr. bis heute) geschafft hat, seine Umwelt so stark zu verdrecken, dass dies nicht mehr reparabel ist!

Die Entwicklungsgeschichte des Menschen bezüglich seiner wissenschaftlichen und kulturellen Errungenschaften, seines Bevölkerungswachstums und resultierend daraus der Auswirkungen auf seine Umwelt ist auch die Geschichte einer irrsinnigen Beschleunigung:

– Vor 2,5 Mio. Jahren war aus dem Affen der Urmensch geworden.
– Vor 7.000 Jahren gab es die ersten kleinen Städte, Ackerbau und Viehzucht.
– Vor 300 Jahren wurde Mozarts Vater Leopold geboren.
– Vor 80 Jahren steckte die Welt im größten Krieg aller Zeiten.

Ich habe mal gerechnet und versucht, den Werdegang des Menschen mit einer zehnstündigen Autofahrt gleichzusetzen. Der Wagen wird nach dem Start (= vor 2,5 Mio. Jahren) nur sehr langsam schneller, kommt dabei erst 90 Sekunden vor der Ankunft (= vor 7.000 Jahren) auf 30 km/h. Er steigert sich bis zur viertletzten Sekunde (= vor 300 Jahren) immerhin auf 80 km/h, beschleunigt dann aber ab der letzten Sekunde (= vor 80 Jahren) auf 300 km/h, bis zum Ende der 10-Stunden-Fahrt (= das Jahr 2021). Die Karosserie ächzt, die Reifen fangen an zu stinken, die Insassen suchen verzweifelt nach einer Bremse, die offensichtlich nicht eingebaut worden ist.

Da haben wir also eine sehr beschauliche, ja lähmend langsame Tagesreise, die dann in der letzten Sekunde zu einer krassen Kamikaze-Unternehmung wird, mit ungewissem Ausgang.

In dem amerikanischen Science Fiction-Filmklassiker „Soylent Green“ ist das Jahr 2022 bereits eine Zeit, in der Erdbeermarmelade und ein Stück Rindfleisch nur noch den Superreichen vorbehalten sind und sich die hungernden kleinen Leute um Soylent Green-Kekse reißen, welche aus Mangel an normalen Nahrungsmitteln in geheimgehaltenen Fabriken aus toten Menschen hergestellt werden.
Und in „Planet der Affen“ (von 1968) wird erzählt, dass die Menschen bis zur Mitte des vierten Jahrtausends nach Chr. aus der Welt ein weitgehend ödes Wüstenland gemacht haben, in welcher sich am Strand nur noch verrostete Reste der amerikanische Freiheitsstatue finden lassen.

Düstere Gedanken, die den Zinkl mit dem Gipsverband umtreiben. Aber so arg muss es ja vielleicht nicht kommen. Gut, in fünf Milliarden Jahren hat die Sonne ihren nuklearen Brennstoff verbraucht und sich in einen aufgeblähten Roten Riesen verwandelt — sie verschlingt dann Merkur und Venus und verbrennt die Erde.
Bis dahin wird es eine menschliche Erdbevölkerung höchstwahrscheinlich nicht mehr geben, aber vielleicht halten es unsere Nachfahren zumindest noch ein paar Jahrtausende aus. Unter anderen Umweltbedingungen freilich: Die Mädels und Jungs, die jetzt geboren werden, haben als Rentner die wahrscheinlich ungemütlichen Folgen einer Erderwärmung von drei Grad auszubaden.
Das ist nicht schön für meinen Enkel Edgar, er wird sich Bayern mit den Holländern teilen müssen, deren Land überflutet ist. Und mit den Afrikanern, deren Kontinent völlig ausgetrocknet ist — Gott sei Dank sind der Zinkl und viele seiner Leser da schon längst zu Staub zerfallen.

Deshalb trage ich meinen Gipsverband munter und mit großer Geduld, es sind ja nur noch schlappe vier Wochen, jawohl, das ist ein lächerlich kurzer Zeitraum…

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