Liebe Leserinnen und Leser,
der fällt mir ganz und gar nicht leicht, dieser Jubiläums-Blog. Was Besonderes sollte er schon sein, immerhin ist es mein zweihundertster und gleichzeitig der erste in diesem zweitausendundzweiundzwanzigsten Jahr nach Jesus Christus Superstar.
Der Komponist Hans Pfitzner sagte einmal, er brauche für seine musikalischen Werke oft sehr lange, es würde ihn große Mühe kosten, sie fertigzustellen. Richard Strauss kommentierte das mit: „Warum lässt er es dann nicht bleiben, wenn er sich so schwertut damit.“ Ob dieses Zitat ganz genau im Wortlaut stimmt, weiß ich nicht, denn es wurde mir von dem berühmten deutschen Antiquar Michael Raab mitgeteilt, und das schon vor einigen Jahren. Aber das bringt mich jedenfalls darauf, in Erwägung zu ziehen, es dann halt einfach sein zu lassen.
Gestern hörte ich den Sonderbericht im BR Fernsehen über die umfangreichen Untersuchungen im Zusammenhang mit den Missbrauchstaten von Angestellten der Erzdiözese München und Freising gegenüber zahllosen Kindern und Jugendlichen. Es wäre ein Leichtes, dazu ein gallenbitteres und gehässig-zynisches Traktat gegen die katholische Kirche loszulassen. Aber soll ich damit wirklich Blog Nr. 200 verschmutzen? Dass dieser Kapitalgesellschaft seit Jahrhunderten und bis heute ein erhebliches kriminelles Potential innewohnt, ist doch sattsam bekannt. Also: Thema beendet.
Was gibt es sonst Neues in diesem Jahr: Achja, Omikron. Gell, da kommt einem mittlerweile das Gähnen? Man kann es nicht mehr hören. Man kann sich auch kaum mehr daran erinnern, dass es einmal ein Leben ohne FFP2-Maske gegeben hat.
Ich schaue mir zur Zeit ein Fotoalbum von 1991 an. Mit meiner damaligen Gattin Liz und unserem gemeinsamen süßen zweijährigen Töchterchen Marlena waren wir im Sommer drei Wochen im Club Med in Hammamet gewesen, das ist in Tunesien. Ohne Smartphone (gab es noch nicht), ohne FFP2 (gab es noch nicht), ohne Befürchtungen vor militanten fanatischen Moslems (gab es zumindest dort noch nicht) — aber gut eingehüllt in Stoff, denn sonst hätte uns die gnadenlose afrikanische Augustsonne die Haut vom Körper geschält. Nach zwei Wochen wollten wir soo gerne nach Hause zurückfliegen, aber das war nicht möglich. Also quälten wir uns eine ungeliebte dritte Woche herum, in der Gluthitze am Strand und am Pool. Ich überfraß mich hemmungslos am All-inclusive-Luxusbuffet mit tausend Leckereien. Ich ließ nichts aus und lag deswegen danach zwei Tage krank darnieder, in unserem Minibungalow. Erstaunliche Erinnerungen schwappen in mir hoch. Es war durchaus eine sorglose Zeit, aber die Sorglosigkeit empfanden wir nicht. Es war wie es war. Wir kannten es nicht anders.
Gestern abend habe ich Alexandra Ausschnitte aus einem Filmchen von 2004 gezeigt. Damals hatte ich eine analoge Videokamera dabei, als ich mit meinem Kumpel Hans die Donau entlanggeradelt bin. Wir waren mit dem Auto und aufgehuckten Rädern bis Linz gerollt, hatten den Wagen dort geparkt und radelten dann fast bis nach Wien hinein. Ich erinnere mich, dass ich auf dem meist schnurgeraden und auf Dauer sehr öden Weg (rechts die Donau, links das Gebüsch) fast immer für mich alleine war. Hans war damals ein Leistungssportler und doppelt so schnell wie ich. Alle paar 350 Meter wartete er, bis sein schwächelnder Kamerad endlich nachtrudelte. Schön war das nicht. Nicht für mich und für ihn vielleicht auch nicht. Heutzutage würde mir das nicht mehr passieren. Mit meinem e-Bike würde ich ihn Staub fressen lassen. Aber damals gab es noch keine e-Bikes, es gab noch keine Smartphones, um sich abzusprechen, es gab nur eine klumperte Videokamera, mit der ich die Trostlosigkeit dieses Streckenabschnitts dokumentierte. Legendär meine damaligen Selbstgespräche und wackeligen Aufnahmen vom Radl runter: „Rechts die Donau, links das Gebüsch, i werd’ narrisch.“ In Wien wurde dem Hans dann sein teures Rad gestohlen, weil er es nicht richtig angekettet hatte. Meines nicht.
Es war durchaus eine sorglose Zeit, wir hatten schon auch jede Menge Spaß auf unserer Männertour, aber die Sorglosigkeit empfanden wir nicht. Es war wie es war. Wir kannten es nicht anders. Okay, Hans war ziemlich entsetzt darüber, dass sich sein Rad entmaterialisiert hatte. Dies zum Thema „Sorglosigkeit“.
So ist es halt. Dass es eine damalige Sorglosigkeit gegeben hat, das empfindet man oft erst im Nachhinein, wenn man es retrospektivisch-romantisch verklärt. Wann hat man denn schon Sorglosigkeit? Da wir getriebenen Kreaturen nicht vollends den Genuss des Hier und Jetzt spüren können, weil unser Hirn ständig dorthin driftet, was einst gewesen ist und was künftig vielleicht sein könnte: Deswegen sind wir ziemlich selten sorglos. Ich habe gelegentlich Gedanken des Bedauerns in mir und ich habe Gedanken verbunden mit Befürchtungen, die verderben mir immer mal wieder die winzigen süßen Augenblicke der Gegenwart. Aber da bin ich nicht der Einzige, gell?
Ich bin ja total dankbar, dass ich kein Ministrant gewesen bin in meiner Kindheit und nicht unter einem notgeilen Päderasten leiden musste. Da habe ich Glück gehabt, ich litt nur unter der unsäglichen Langeweile der sonntäglichen Messe, das hat mir aber nicht geschadet. Diesbezüglich: sorglose Kindheit. Dass mein Vater fast nie mit mir geredet hat, war zwar nicht so toll, aber geschlagen hat er mich nicht. Er war schon okay, eben ein Mann seiner Zeit, der eine beschissene Kindheit hatte und nicht wusste, dass man sich mit seinem Sohn unterhalten kann über Alice Cooper, über Ameisen, über Hitler. Das hatte ihm keiner gesagt und er hat es nicht gecheckt. Bis er 1971 einfach umfiel. Herzinfarkt und aus. Nun liegt er, immer noch stumm, seit über fünf Jahrzehnten in seinem Grab und ich male mir aus, wie es wäre, wenn er jetzt 92 wäre. Würde er dann zu mir sagen: „Hey, du bist ein komischer Mensch, aber ich finde dich irgendwie gut.“ Ich glaube, das würde er nicht tun. Aber was könnte er sonst sagen?
Es gibt einen ziemlich verrückten Film von Frank Zappa, der heißt „200 Motels“. Der wurde von Zappa 1971, in dem Todesjahr meines Vaters, herausgebracht. Und nun schreibe ich den letzten Satz von meinem 200sten Blog. Was hat das zu bedeuten? Was nur?
Gefällt mir sehr Dein Block…
Ja ja, de Guade Oide Zeit..hod scho wos ghabt…..
Ich bin a öfters gedanklich in der Vergangenheit unterwegs und es kommt schon a bisse Wehmut auf 😞
Aber die Vergangenheit is vorbei, kommt auch nicht wieder und man soll auch mit FFP2 und Abstand und Impfausweis so gut wies geht zufrieden und hoffnungsvoll sein weils anders ned geht. Und weils nix huifft…(a bisse bayrisch derf scho sei)
Pfüat di 😘
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Also das mit dem Fahrraddiebstahl in Wien muss ich hier mal klarstellen! Von wegen, der Hans hätte „sein Radl nicht richtig angekettet“ : Wir hatten unsere Räder mit zwei Schlössern aneinander gekettet, damit man sie nicht wegtragen kann, während wir uns das abendliche Opern-Open-Air am Rathausplatz vor dem Burgtheater anschauten. Aber dem ungeduldigen Herrn Zinkl wurde natürlich schon nach einer Stunde langweilig und er radelte alleine zurück ins Hotel. Den Rest kann man sich denken: Das nun frei stehende nagelneue Trekking-Bike wurde kurzerhand von irgendeinem Saubazi weggetragen. So war das nämlich. Schönen Dank auch, Herr Zinkl!
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Ah, Hansi, soo war das damals! Hatte ich glatt vergessen. Naja, es ist vor 18 Jahren gewesen, da kann einem sowas schon mal entfallen. Asche auf mein ungeduldiges Haupt!
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Besonders schöner Blog diesmal. Warum nur? Ich glaube weil er die kleinen banalen Ereignisse würdigt, die einen prägen und ein Leben komplettieren. Das machst Du echt gut! Mach weiter! Großes Jubiläumslob! Cor
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Danke, Cordula. Freut mich sehr!
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Servus Toni, echt schönes Buidl!!! Eine glückliche Tochter und ein strahlender, stolzer Papa!!
Ja, lang is her……, des kenn i auch!
Gruaß Bäda
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