Liebe Musikfreunde (Weiblein und Männlein),
wenn man das zweiundsechzigste Lebensjahr hinter sich gelassen hat (so wie der Zinkl), kann man sich so langsam damit anfreunden, im Begriff zu sein, ein alter Mensch zu werden. Das ist gar nicht schlimm, wenn man das tut. Man kann es freilich auch bleiben lassen, besonders hilfreich ist der Gedanke ja nicht unbedingt. Ich bevorzuge deshalb: es bleiben zu lassen.
Fast alle großen Musiker, deren Werke dieser 62-jährige Mann als pubertärer Jüngling mit Begeisterung gehört hat (und diese Musiker zudem partiell immer noch hoch verehrt), haben die 62er-Markierung allerdings schon weit hinter sich gelassen.
Einer dieser Meister sollte und wollte am vergangenen Donnerstag in Nürnberg mit seiner Band ein Konzert geben. Ich habe PETER HAMMILL in den 90er Jahren ein paar Mal live erlebt, als Solist und auch mit seiner grandiosen Band VAN DER GRAAF GENERATOR.
Hammill ist eine Legende des Progressive Rock. Als junger Mann erwarb er sich den Beinamen „Dr. Doom“ und das passte schon ziemlich gut. Ich hörte erstmals ein Lied von ihm in den frühen 70er Jahren im vormitternächtlichen BR-Radio und war sofort angefixt. Ein Song über einen alten einsamen Hai, vor dem sich alle fürchten, weil er jeden Fisch umbringt, der in seine Nähe kommt. Ein düsteres Werk mit dramatischem Gesang und schrillen Saxophoneruptionen. „Killer“ heißt das Stück. Man muss es gehört haben.
Ich habe in diesen magischen Jahren so nach und nach alle Schallplatten von Peter Hammill und Van der Graaf Generator gekauft und so oft gehört, dass ich jeden Ton kenne. Wer sich mal was geben will, das echt nicht viel zu tun hat mit Adele und Ed Sheeran, dem seien folgende Alben empfohlen: „Pawn Hearts“, „Godbluff“, „The Silent Corner and the Empty Stage“ und „Over“. Das ist die absolute Pflicht für jeden Liebhaber von exzentrischer und hochspannender Rockmusik inkl. großartiger Lyrics.
Nun, mein lieber alter Freund Peter also in Nürnberg. Zusammen mit dem Organisten Hugh Banton und dem Drummer Guy Evans, die ihn beide ein Leben lang musikalisch begleitet und veredelt haben. Alle drei sind zusammen 220 Jahre alt. Hammill war schon immer ein hagerer Mensch, inzwischen scheint er jedoch nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen, ABER: die inneren Werte zählen, wie wir alle wissen.
Mit meinem guten Freund Erich bin ich am Donnerstagnachmittag frohen Mutes ins Frankenland gepilgert, um den gut abgehangenen Herren die Ehre zu erweisen. Erich stellte dafür seinen Oldtimer-Mercedes zur Verfügung, wir waren also absolut stilecht präpariert. Eine heitere Vergnügungsreise, wie sie nur Herren zu zelebrieren wissen, die bereits die goldenen Blätter des Lebensherbstes rieseln sehen.
Da wir vorher noch speisen wollten, waren wir früh dran und parkten nahe bei der Lokalität „Hirsch“, wo die weltberühmten Van der Graaf Generator die wilde Sau herauslassen würden. Von weitem sahen wir schon einige Senior*innen (ach das Sternderl, wie süß in diesem Wort!), herumstehen, in freudiger Erwartung der Ereignisse, die da kommen sollten.
Der Eingang war noch geschlossen und man hatte ein weißes Blatt Papier in einer Klarsichthülle angebunden:
Das Konzert von VAN DER GRAAF GENERATOR muss leider wegen Erkrankung kurzfristig abgesagt werden. Unser Biergarten ist geöffnet.
Erich und ich waren fassungslos. Wir waren konsterniert. Wir waren nicht verzweifelt, das nicht, aber: Verdammter blutiger Hühnerdreck! Einer der Fans meinte, Hammill sei ins Krankenhaus gebracht worden, Herzprobleme oder so was. Keine Ahnung, woher er das wissen wollte, aber tatsächlich twitterte Dr. Doom am nächsten Tag:
Sorry to say that the tour’s off as I had a hospital visit and surgery overnight. All well now but recovery time will be needed.
Gott sei Dank lebt er. Das ist erstmal die Hauptsache. Hammill hatte schon mal einen Herzinfarkt und so wie er auf der Bühne singt (er flüstert und schreit abwechselnd und das sehr oft), wundert mich das nicht unbedingt. Aber das ist es ja gerade: Flüstern und Schreien, das ist sein Markenzeichen, das muss so sein. Emotionen, die heraus müssen.
Erich liebt Pizza, also haben wir uns einen Italiener in der Nähe gesucht und uns dort sattgegessen. Und ein wenig gelästert, warum so alte Menschen noch Konzerte geben müssen. Aber klar: Wer ein Leben lang auf der Bühne gestanden und unzählige begeisternd applaudierende Zuschauer erlebt hat, der will das so schnell nicht aufgeben. Phil Collins kann nur noch im Sitzen singen und er singt zu früher vergleichsweise bescheiden. Aber er tut es leidenschaftlich und die Menschen lieben ihn dafür. Vor kurzem gab er mit GENESIS sein endgültiges Abschiedskonzert. Wenn’s wahr ist.
Im Sommer kommen die Stones ins Münchner Olympiastadion. SIXTY steht auf den Konzertplakaten. Will sagen: Die Band gibt es seit 1962. Mick Jagger ist mittlerweile 78, aber garantiert noch so fit wie ein neuer Turnschuh von Nike. Der Mann ist ein ungeheuerliches Phänomen. Das sage ich jetzt einfach so, aber ich werde mich davon nicht überzeugen, denn erstens bin ich nicht der allergrößte Fan der Rolling Stones (ich mag nur „Angie“, „Wild Horses“ und „Brown Sugar“) und zweitens ist das Konzert doch ein recht kostspieliges Vergnügen. Je älter die Künstler, umso teurer die Tickets. Das ist eine einleuchtende Proportionalität.
Ich wünsche den Münchner Stonesfans von Herzen, dass am 5. Juni 2022 Keith Richards noch lebt. Der Wunsch geht sicher in Erfüllung, denn Richards ist ein unzerstörbares Urgestein, dessen Organe erfolgreich durch Nikotin, Alkohol und noch schwerere Drogen mumifiziert worden sind. Welche aber gerade deswegen hervorragend ihren Dienst tun, das ist ja das große Wunder dieser Welt.
Ich bin sehr traurig, dass ich Herrn Hammill und seine fantastischen Musikerkollegen nicht mehr sehen durfte. Es wäre soo schön nostalgisch gewesen. Vielleicht hätte er sogar „Killer“ gesungen. Mensch, Gott, was bist du nur für ein Spielverderber! Das schreibt der Atheist Zinkl, absurd, gell? Aber einen muss man doch zur Verantwortung ziehen dürfen. Herrschaftszeiten nocheinmal!
Nix gegen alte Rocker, auch wenn sie sich manchmal übernehmen!
Interessant finde ich, dass Hammill in einem Lokal namens „Hirsch“ auftritt – oder das zumindest vorhatte. Da denkt unsereins doch gleich an den legendären Hirschwirt in Erding. Wer erinnert sich? Über den schreibt der Hans Kratzer just heute in seinem Artikel ‚Im Bauch von Bayern‘ in der SZ: „Wie einst beim Hirschwirt in Erding, einer Art ‚Landfreakwirtschaft‘ , in der sich diejenigen trafen, die in der Ära Strauß gegen alles waren. In den benachbarten Wirtshäusern hockten jene, die grundsätzlich dafür waren – vor allem für Strauß. Und sie taten lautstark kund, man solle die Typen im Hirschwirt am besten rüber in die DDR schicken.“
Auch ich saß als Abiturient und Germanistikstudent gerne beim Hirschn und regte mich über den Franz-Josef auf, vielleicht lief im Hintergrund sogar Peter Hammill. Bis Strauß schließlich bei der Wildsaujagd einem Herzinfarkt erlag. Dann war a Ruah und den Hirschwirt gab es auch bald nicht mehr. Ja mei, alte Männer, die sich übernehmen…
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Aber klar erinnere ich mich an den guten Hirschwirt ! Dort habe ich zwischen 1986 und 1993 mehr Zeit als in meiner Wohnung verbracht. Die Flasche Sekt kostete 12 Mark, dazu gab es reichlich Vodka und Duplo. Eine hochgesunde Ernährung für junge Menschen. Einer der „Hirschwirte“ (es waren derer drei) spielte gerne im Hintergrund dezent mit den Weißbierschaumbläschen mitperlenden Progrock oder Avantgarde – Jazz. Ein richtiger Kurort war das ! Am besten waren die Partys am Heiligabend – alle Weihnachtsverächter trafen sich dort zum konspirativen Umtrunk. Ein herber Schlag gegen die spießigen Christbaumbiesler. Was für eine Gaudi. So was gibt (oder gab) es nur noch im Johanniscafe in München – sogar mit „Carpet Crawl“ von Genesis in der Jukebox.
Dann wünsche ich Herrn Hammill, dem wackeren, noch schnelle Genesung, denn ich würde ihn schon noch mal gerne singen hören: „don’t go for the golden promises – don’t go for the easy way…. don’t throw your life away…“
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