224_prä-astronautik

Liebe Alien*innen,

seit über hundert Jahren sind die Menschen fasziniert von der Idee außerirdischer Besucher aus fernen Galaxien. Als Jugendlicher habe ich mit Begeisterung den 1951er Science Fiction-Film „Der Tag, am dem die Erde stillstand“ gesehen, in welchem der Außerirdische „Klaatu“ den Mächtigen der Erde auf noch sehr humane Weise gezeigt hat, wo der Hammer hängt. Nicht mehr so glimpflich kamen die Erdlinge bei H. G. Wells’ „Krieg der Welten“ davon, als Roman bereits 1898 veröffentlicht, als Hörspiel von Orson Welles übertragen am Abend vor Halloween 1938. Die Radiohörer gerieten da teilweise in Panik, weil sie dachten, das sei eine Dokumentation realistischer Ereignisse.

Heutzutage kann man die Leute nicht mehr so leicht hinters Licht führen, obwohl es ja wieder verstärkt die Tendenz gibt, an fantastische, höchst unwahrscheinliche und völlig absurde Ereignisse zu glauben. Der Clan der sogenannten Querdenker tut sich da mit kraftvollen Visionen hervor.

Als ich mit Alexandra gestern im Bombay Temple im Münchner Osten diniert habe, bin ich selbst Opfer geworden von wilden Visionen. Die Dame des Hauses, gewandet in einem curryfarbenen Wollkleid, das hervorragend kontrastierte zu ihrer dunklen lederartigen Haut, hätte in Raumschiff Enterprise sehr schön eine Klingonin spielen können — wenn ihr der Maskenbildner noch die Stirn aufgefaltet hätte. Über die Deckenlautsprecher lief ergänzend Bollywoodmusik von Sandesh Shandilya, Mohammed Aziz und Kumar Sanu. Das klingt ja für bayerische Ohren tatsächlich so, als hätten sich die Nachfahren von Prä-Astronautikern ihre Heimatklänge aus dem Andromedanebel erhalten und nur ein klein wenig terranisch modifiziert.

Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, dass ich ein Kenner indischer Popmusik bin. Bin ich nicht, ich habe mein Smartphone mit der App „Shazam“ in die Luft gehalten und das unheimliche Programm hat mir sofort angezeigt, wer von den Aliens da singt. Das noch unheimlichere Programm Spotify hat dann diese Musik später im Benz abgespielt, während ein Regenschauer herunterprasselte, als würden UFOS die Münchner Straßen mit gigantischen Wasserwerfern angreifen.

Übrigens stammt der Ausdruck „Prä-Astronautik“ nicht von mir. Kürzlich sah ich im Fernsehen zufällig eine Dokumentation darüber. Seriöse Wissenschaftler erklärten in Interviews, dass es erdrückende Beweise gäbe dafür, dass es vor tausenden von Jahren bereits außerirdische Besucher auf der Erde gegeben habe. Nun, das ist ja wahrlich nichts Neues, das hat in den 70er Jahren bereits der Schweizer Erich von Däniken in seinen Bestseller-Büchern behauptet und überzeugend belegt. Die monumentalen Steinfiguren auf den Osterinseln beispielsweise wurden von Bildhauern aus dem Sonnensystem Wega gefertigt, in enger Zusammenarbeit mit künstlerischen Beratern aus dem Sirius-System. Ich habe das als Jugendlicher — genauso wie Science Fiction-Literatur von Robert A. Heinlein, Isaac Asimov und William Voltz — gerne studiert, mit einem wohligen Gruseln.

Ich darf hier Wikipedia zitieren: „Die Prä-Astronautik (auch Paläo-SETI genannt) ist eine Parawissenschaft, welche die Untersuchung der vermeintlichen Präsenz außerirdischer Intelligenzen auf der Erde während der Vorgeschichte und des Altertums zum Ziel hat.“ Freilich kann man daran glauben, wenn man die indische Dame im Bombay Temple gesehen hat oder die Shakōki Dogū-Figur aus der Späten Jōmon-Zeit (1000–400 v. Chr.). Diese Figur ist im Tokyo National Musem ausgestellt und ich würde sie gerne stehlen, weil sie solch entzückende Reptilienaugen besitzt. In der Perry Rhodan-Serie ist es das raumfahrende Volk der Topsider, welches leicht zu identifizieren ist durch die waranartigen Echsenköpfe und langen gepanzerten Schwänze.

Ach, so schön es doch ist, an die Existenz Lichtjahre entfernter intelligenter Lebewesen zu glauben (ich bin davon überzeugt, dass es sie gibt), ich glaube auch fest daran, dass ein persönliches Kennenlernen niemals der Fall gewesen ist und auch niemals der Fall sein kann. Warum? Nun, man schaue sich doch bitteschön diese unsere Menschheit an!

Diese hat sich mehr oder weniger flott herausentwickelt aus einem Einzeller. Über die Qualle zum Krebs, zum Lurch, zur Eidechse, zum Dinosauerier, zum Riesenhirschen, zum Äffchen, zum Affen, zum Homo rudolfensis, schließlich zum Homo sapiens. Gleichzeitig hat man sich ständig untereinander bekämpft, wegen Nahrung und Wohnraum und Fortpflanzungspartnern. Selbst als dies alles reichlich vorhanden war, haben sich vor allem die zuletzt Genannten gegenseitig gequält und umgebracht, aus Machtgelüsten, genug ist ja nie genug.

Das hört nie auf, könnte man glauben (siehe Putin und sein Mördergesindel), aber es wird aufhören, wenn zahllose Atombomben fallen. Und wenn sie nicht fallen, dann besorgt den Untergang das Klima, dauert nicht sehr viel länger.

Ja, glaubt man denn wirklich, dass eine Entwicklung intelligenten Lebens auf anderen Planeten sehr viel anders verlaufen könnte? Intelligenz erschafft Hochtechnologie und diese ist untrennbar verbunden mit dem Verbrauch von Ressourcen. Bevor Hochtechnologie ein Stadium erreichen könnte, welches Raumfahrt mit Hyperantrieb ermöglicht, ist doch die Spezies längst dem Untergang geweiht.

Auch die Leute aus der Sagittarius‑Zwerggalaxie (ja, die gibt es) bekämpfen sich gegenseitig bis aufs Sagittarius-Blut und schaffen es allerhöchstens auf ihren Sagittarius-Mars oder wie deren nächster Planet auch bezeichnet sein mag. Niemals wären sie soweit gekommen, um auf der Erde in der Nähe von Lima die Nazca-Linien zu ziehen oder die teilweise 50 Tonnen schweren Steine von Stonehenge zu gruppieren. Abgesehen davon: Wesen, die Raumschiffe über solche Entfernungen steuern können, in einem überschaubaren Zeitraum, wieso sollten die ein Gebilde wie Stonehenge errichten wollen? Die arbeiten doch nicht mehr mit grobem Stein, sondern mit Hyper-Materialien, welche die Erdlinge niemals erschaffen werden, bevor sie alle krepieren. Gibt es auf der Erde Monumente aus Sagittarius-Stahl?

Ja, tut mir leid, dass ich am Tag der Deutschen Einheit solche schwarzen Visionen in den Äther schicke. Sehr viele Ostdeutsche wünschen sich übrigens gar nicht den Besuch von Aliens, sondern lieber eine AFD-Diktatur, die ihnen das Denken abnimmt, die sie ausspioniert und die ihnen verbietet, Musik mit kritischen Texten zu hören. Ein bisserl DDR halt wieder, weil man da so gut behütet war.

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