Liebe Kunstsachverständige,
gestern habe ich in Markt Schwaben, Ödenburger Straße 16, im Dachspeicher herumgeräumt. Es handelt sich um den Speicher im Zinkl-Elternhaus, in welchem ich meine ersten 27 Jahre in jugendlicher Frische und ohne größere Not verbracht habe. Ich besuchte meine liebe Mama und wollte die Gelegenheit nutzen um nachzuschauen, was sich in besagtem Speicher noch an wertvollen Antiquitäten finden ließe.
Leider konnte ich weder einen echten Rembrandt noch ein verschollenes Sonnenblumenbild vom guten Vincent aufstöbern. Dafür waren unordentlich und lieblos in zwei muffigen Schränken ein paar uralte Zinklschinken abgelagert. Uralt, naja, sagen wir mal: aus der Zeit der frühen 80er Jahre. Damals hatte ich noch Ambitionen ein bildender Künstler zu werden und wollte mich auch mit abstrakten Werken schön hervortun. Gott sei Dank bin ich dann aber doch noch Grafik-Designer geworden, denn als Künstler wäre ich bestimmt unter einer Isarbrücke gelandet, stark bibbernd in dieser grausligen Januarkälte in einem verschmuddelten Schlafsack.
Wie auch immer, manche dieser künstlerischen Großtaten haben mich nett daran erinnert, was ich damals für ein Freak gewesen bin. Da gibt es zum Beispiel ein Bild im Format 70 x 70 Zentimeter. Es ist eine Holzplatte, die ich sehr grob mit weißer Wandfarbe beschmiert hatte. Auf dieser reizvoll unruhigen Fläche zeichnete ich über die gesamten 4.900 Quadratzentimeter feinste Strukturen auf. Und zwar mit einem Rapidographen! Das ist ein Instrument der 70er Jahre, als in der Realschule noch das Fach „Technisch Zeichnen“ unterrichtet wurde. Wer das nicht weiß: Es handelt sich um einen Tuschefüller mit einer sehr empfindlichen Nadel, mit welcher man einen Zehntel Millimeter dünne Striche aufs Blatt bringen kann. Also wirklich feinst!
Meinen damaligen Rapidographen hatte ich eine intensive Hassliebe entgegengebracht. Liebe, wenn sie gingen, d.h. wenn aus der Nadel Tusche herauskam. Hass, wenn die Nadel verstopft war. Was leider ziemlich oft der Fall gewesen ist, denn der schlampige Schüler Zinkl hat seine Instrumente nach Gebrauch nicht immer in fließend warmem Wasser ausgespült. Dieses Tun ist aber unumgänglich, wenn das Gerät zu einem späteren Zeitpunkt erneut zum Einsatz kommen soll. Ansonsten trocknet die Tinte in der Nadel und verstopft sie eben. Da kann man dann den verfluchten Tusche-Nichtmehrspender schütteln wie narrisch, man kann ihn an die Wand werfen, das hilft alles nichts. Wenn man Glück hat, lassen sich die inneren Verkrustungen durch geduldiges langes Auswaschen wieder lösen. Oh, was ich damals Zeit verbracht habe damit, diese verdammte Rapidographen zu reinigen. Ich habe auch manchmal die Nadel in einem cholerischem Anfall verbogen, dann war das teure Ding total hinüber.
Auf alle Fälle tapezierte ich das weiß grundierte Holzbrett mit Butterbrotpapierschichten, überschmierte es nochmal mit diversen Pastellfarben (auch rosa), tapezierte wieder Butterbrotpapier drüber und ließ dann alles schön trocknen. Und danach — jawoll, ganz genau, kam der Rapidograph ins Spiel! — habe ich die Oberfläche mit Zehntausenden von winzigen Kreuzchen und mit ebensovielen Kreuzchen in kleinen Kreisen bedeckt, diese zu rechteckigen und quadratischen Clustern formiert. Diese Tätigkeit war so eine Art Sticken mit Rapidograph — eine sehr langwierige und durchaus meditative Beschäftigung. Während der Kreuzeleien und Kringelein konnte man seine Gedanken hervorragend abschweifen lassen — zu irgendwelchen hübschen Mädels, die einen nicht erhörten. Man konnte nebenbei Orangensaft trinken und Musik von Steely Dan oder Paul Hindemith hören.
Ich habe das wirklich gern gemacht, dieses zeichnerische Sticken von Strukturen hat mir was gegeben. Und wie man auf der nachfolgenden Abbildung des Werkes sieht, hat auch der Rapidograph seinen Dienst sehr zuverlässig erfüllt.
Leider hat das Bild nie einen Namen bekommen. Vorschläge dazu? Kaufgesuche? Ich kann versichern, dass es sich ganz allerliebst in einem Barockwohnzimmer machen würde, mit enorm beruhigender Wirkung. Oder es wäre ein sehr schönes CD-Cover für den lieben Herrn Dirk Busch.
Ich war übrigens 23 Jahre alt, als ich dieses Bild angefertigt habe. Heute, 40 Jahre später, habe ich weder die Geduld noch die Sehkraft, um eine ähnliche Großtat abzuliefern. Sehr schade. Endlich mal wieder einen Rapidographen auswaschen, wie geil wäre das denn?
Hey Toni, vielleicht erinnerst Du Dich, dass dieses großartige Werk einst in unserer Küche in der Albrechtstraße hing? Mir hat’s sehr gut gefallen!! Grüße, Deine Exfrau Kiki
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Oioioi, der Kommentar hat gesessen! Touché! Douze points pour Kiki. Auch ich erinnere mich gut und gerne an das Kreuzerlwerk, das wie ein Schnittmuster für eine Steppdecke aussieht. Und unter jeder Steppdecke kann ein Depp stecken, gell, hehe.
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Also so was. Erinnerungen sind ja so was von trügerisch! Das Bild muss sich dann irgendwann in den Nullerjahren wohl selbst auf den Speicher gebeamt haben. Erstaunlich!
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Mein lieber Herr Anton!
Vielen Dank für das freundliche Angebot, Ihr überwältigendes Werk für ein Cover eines unbekannten Künstlers zur Verfügung zu stellen.
Wir werden mit dem Künstler ein Gespräch führen und kommen im Falle des Falles wieder auf Sie zu!
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Servus Toni, wie wär’s mit „Felder um Markt Schwaben vor der Arrondierung“ als Titel für das Bild!?
Wenn du mal wieder ähnliches anfertigen möchtest, ich habe noch paar Rapidographen von Staedtler!
Gruaß Bäda
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Super Titel, Bäda! Sehr schönes Wort: Arrondierung.
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Woast aber scho was des is ??!! 😉
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