BvsN-04

Fortsetzung von Blog Nr. 240

10. Februar, Freitag, 9.00 Uhr.

»Guten Tag, Frau Menskes-Gildenhorn«

»Hallo Herr Neumann, ich grüße Sie. Schön, dass wir uns kennenlernen.«

»Äh, entschuldigen Sie, ich bin ein wenig nervös. Ich war noch nie bei einem Psychiater, äh, ich meine, bei einer Psychiaterin.«

»Da gibt es gar nichts zu entschuldigen, Herr Neumann, das ist völlig normal. Aber, gleich vorab: Ich bin Psychotherapeutin, keine Psychiaterin, das ist schon nochmal ein Unterschied.«

»Okay, ich verstehe. Entschuldigen Sie die Verwechslung. Danke, dass ich bei Ihnen einen Termin bekommen konnte. Sie sind mir ja besonders empfohlen worden.«

»Haben Sie sich geschnitten? Ich sehe, dass ihre rechte Hand verbunden ist. Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes?«

»Ach nein, das ist nur eine Kleinigkeit, nicht der Rede wert.«

»Nun, Herr Neumann, was kann ich für Sie tun? Seien Sie ganz entspannt, lassen Sie sich gerne Zeit mit Ihrer Schilderung.«

»Ja, also. Mir geht es nicht gut. Seit einem gewissen Vorfall, oder sagen wir: Erlebnis. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das so beschäftigt, vielleicht bin ich zu empfindlich.«

»Herr Neumann, das glaube ich nicht. Wir sind alle sehr sensible Geschöpfe, wir sind oft empfindlicher, als wir glauben. Unser Unterbewusstsein speichert für lange Zeit Dinge, die wir für längst überwunden halten.«

»Ich wurde von der Polizei vorgeladen, weil man mich als Zeugen verhören wollte. Meine liebe Nachbarin ist ausgeraubt und erschlagen worden. Frau Landauer. Ich habe sie gut gekannt.«

»Herr Neumann, das ist ja schrecklich! Ich meine den Mord. Aber eine Vorladung ist ja nicht unüblich in so einer Sache.«

»Natürlich, klar. Aber der zuständige Kommissar hat mich von Anfang an behandelt wie den Täter. Er hat mich respektlos geduzt und sehr grob. Hat gesagt, ich wäre ein Stück Dreck und solche Sachen.«

»WAS? Das ist ja unfassbar! Haben Sie sich bereits über diesen Menschen beschwert? Das geht doch nicht, sowas!«

»Wissen Sie, ich war so froh, als er mich nach einer Stunde aus der Befragung entlassen hatte, ich wollte nichts mehr mit der Polizei zu tun haben, ich wollte es eigentlich auf sich beruhen lassen.«

»Ich kann mir das vorstellen, Herr Neumann. Aber trotzdem. So etwas muss man sich nicht gefallen lassen. Von niemandem und erst recht nicht von der Polizei.«

»Naja, auf jeden Fall habe ich seitdem scheußliche Albträume. Ich träume, dass ich im Gefängnis bin, es ist ein riesiges Gefängnis und ich bin der einzige Insasse. Ich bekomme nur schmutziges Wasser zu trinken. Einmal habe ich sogar geträumt, dass man mir ein Ohr abgeschnitten hat. So wie in dem Film von Tarantino.«

»Dieser Kommissar scheint Ihnen ja übel mitgespielt zu haben. Ich weiß, dass das Unterbewusstsein lange damit beschäftigt sein kann, so einen Vorfall zu verarbeiten und letztendlich zu vergessen. Aber es hat damit ja schon angefangen und das ist gut so.«

»Sie meinen, die Träume haben auch was Gutes? Ich weiß nicht, ich bin davon auch schon schwitzend aufgewacht. Und war dann wirklich froh, dass es, wie gesagt, nur ein Traum gewesen ist.«

»Es ist wichtig, dass Sie in dieser Sache auch etwas unternehmen. Wenn Sie das auf sich beruhen lassen und nicht melden, dann hat ihr Unterbewusstsein kein ausgleichendes Element. Dieser Beamte, der Sie so angegangen hat, muss zur Rechenschaft gezogen werden, das steht fest.«

»Er hat sogar gedroht, mir den rechten kleinen Finger abzuschneiden, mit einem Messer. Er hatte es schon in der Hand.« Neumann fing an zu schluchzen, es schüttelte ihn.

»Um Gottes Willen, das ist ja tatsächlich wie bei Tarantino. Das kann ich ja gar nicht glauben, Herr Neumann!«

»Doch, das stimmt aber. Es war so entsetzlich, ich dachte, dieser brutale Mensch macht Ernst.«

»Und dann haben Sie sich daheim auch noch die Hand verletzt! Also, mich wundert das nicht. Nach so einem Erlebnis! Ich habe ja in meiner beruflichen Tätigkeit als Psychotherapeutin schon manches gehört, aber so etwas!« Sie schüttelte entsetzt den Kopf.

»Sie meinen, ich soll das bei der Polizei melden, wie man mich behandelt hat? Vielleicht wird man mir nicht glauben.«

»Also, ICH glaube Ihnen, Herr Neumann. Sie müssen das auf jeden Fall protokollieren lassen. Dieser Kommissar gehört vernommen und er muss die Konsequenzen für sein Verhalten tragen. Unbedingt. Das ist wichtig für Sie, dass Ihr Unterbewusstsein seinen Frieden findet. Sehr wichtig ist das!«

»Danke, Frau Menskes, äh, Gildenhorn, danke. Sie kennen sich ja mit sowas aus. Dann muss ich wohl nochmal zum Polizeipräsidium fahren.«

»Das müssen Sie unbedingt, Herr Neumann. Sonst schleppen Sie das Jahre mit sich herum, wenn Sie nicht das Gefühl haben, etwas dagegen unternommen zu haben. Dieser brutale Mann muss spüren, dass er so nicht handeln darf. Das ist auch wichtig für andere Zeugen, die er sicher noch befragen wird, vielleicht sogar in ähnlich rücksichtsloser Art und Weise.«

»Ja, Sie haben recht. Ich werde das machen.«

»Schieben Sie es nicht auf die lange Bank. Je eher umso besser, Herr Neumann.«

»Kann ich wiederkommen, zu Ihnen? Ich finde es gut, mit Ihnen darüber reden zu können. Sehr gut sogar.«

»Auf jeden Fall. Lassen Sie sich am Empfang einen Termin geben. Wir kriegen das schon wieder hin, Herr Neumann. Da bin ich zuversichtlich.«

Als Neumann an diesem grauen Februarmorgen die Augustenstraße entlangspazierte, fühlte er sich erleichtert. Das Gespräch hatte ihm gutgetan. Er würde tatsächlich etwas unternehmen, gegen dieses Schwein. Aber nicht so, wie das Frau Menskes-Gildenhorn vorgeschlagen hatte. Wirkungsvoller! Gerald Neumann setzte sich ins Café Jasmin, bestellte Kaffee und ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Und lächelte still in sich hinein.

Fortsetzung folgt

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Abbildung: SirBuvex auf Pixabay