BvsN-05

Fortsetzung von Blog Nr. 241

15. Februar, Mittwoch, 15.00 Uhr.

Dietmar Bronzo war kein Feinmotoriker. Und ein geduldiger Mensch erst recht nicht. War er nie gewesen. Angesichts seiner beträchtlichen Körperfülle ­— er war mit den Jahren immer breiter geworden — hätte man meinen können, er sei der gemütliche Typ. War er aber nicht, sondern eher ein Hektiker, der immer wieder mal einen Gegenstand versehentlich umwarf.

Es war für ihn also keine Selbstverständlichkeit, die feinen Arbeiten an einer Modelleisenbahn Spur H0 auszuführen. Eine solche hatte ihm Silke, sein „Mäusle“, zu Weihnachten nämlich geschenkt. Nur weil er einmal vor langer Zeit gemeint hatte, so eine Eisenbahnanlage sei ein unerfüllter Traum seiner Kindheit gewesen. Jetzt hatte er sie also: eine Alpenlandschaft 40 x 40 cm auf einem Tisch in seinem Hobbyraum im Keller, mit einer kreisrunden Schienenverlegung um ein romantisches Idyll inklusive Berghütte und winzigen Rehen.

Es war ihm klar, dass so eine Anlage ihren Reiz auch durch eine ausgefuchste Beleuchtung bekam. Die kleine Lok besaß keine Scheinwerfer, also hatte sich Bronzo die Aufgabe gestellt, neben den Schienen Lampen zu installieren. Im Handel gab es dazu eine interessante Auswahl und er hatte sechs 55 Millimeter hohe sogenannte „Spur H0 Lampost“ Lampen gekauft. Die sahen zierlich aus, die Installation war ein enorme Herausforderung für ihn, denn: Sie waren auch zierlich und sofort kaputt, wenn man sie nicht mit äußerster Vorsicht verarbeitete. Diese Lampen hatten eine Verkabelung aus Drähten, welche in ihrer Feinheit Bronzo bis dato noch nie gesehen hatte. Es waren eher Fäden als Drähte.

Nach eigentlich korrekter Verkabelung der ersten beiden Lampen brannte kein Licht. Das stellte Bronzo vor ein Rätsel, bis er herausfand, dass man an jedes Fädchen einen kleinen Widerstand anbringen musste, der die Stromzufuhr so weit drosselte, dass die Birnchen nicht durchbrannten. Diese Widerstände mussten verlötet werden. Also besorgte sich  Bronzo auch noch einen Lötkolben und Lötdraht.

Das Gute an dieser nervigen Beschäftigung war, dass sie ihn ablenkte vom Alltag seines mühsamen und vor allem Geduld fordernden Lebens bei der Polizei. Für die Beleuchtung der Eisenbahn musste er zwar auch geduldig sein, aber dafür war ein gewisser Erfolg in Aussicht gestellt. Die Erfolgsquote bei seinen Kriminalfällen dagegen war mau und es war meistens auch nicht seine Schuld, wenn die Täter nicht gefunden oder überführt werden konnten.

Diese Sache mit der alten Landauer zum Beispiel. Neumann war regelmäßig bei ihr zu Besuch gewesen, angeblich zum Quatschen mit  Schwarzwälderkirsch-Torte. Aber wahrscheinlich war das nur ein Vorwand, um auszuspionieren, wo sie ihr Geld versteckt hatte. Wieso sollte sich ein Typ wie Neumann sonst bei so einer alten Schachtel aufhalten. Auch wenn sie früher mal ein Filmstar gewesen war. Der führte doch was im Schilde. Genau: Die Landauer ertappte ihn dann dabei, wie er ihr Geld nahm. Da erschlug er sie. Für Bronzo war der Fall sonnenklar. Aber es gab halt keinen Beweis, dass es so gewesen war. Keinen Scheißbeweis gab es dafür.

Deshalb hatte ihn Bronzo ein zweites Mal verhört, nachdem die Kollegen eingeknickt waren bei Neumanns scheinbar akzeptabler Alibi-Story. Bronzo hatte etwas mehr Druck gemacht. Bronzodruck. Dabei war er etwas zu weit gegangen diesmal. Diese spontane Idee, Neumann eine Fingeramputation anzudrohen, da mussten ihn alle Teufel der Hölle geritten haben. Als beruflichen Selbstmord könnte man es auch bezeichnen. Wenn das nämlich herauskommen würde, dann würde man den Kommissar auf der Stelle aus dem Dienst entlassen und ihm auch seine komplette Beamtenpension streichen. Er wäre auf einen Schlag ruiniert. Wie hatte er sich nur hinreißen lassen, so auszurasten! Verantwortungslos auch Silke gegenüber. Diese idiotische, machtgeile „good cop, bad cop“-Scheiße! Bronzo konnte nur hoffen, dass er Neumann so eingeschüchtert hatte, dass sich dieser bei der Polizei nicht mehr blicken lassen würde.

Es war halb acht Uhr abends und Silke noch immer nicht daheim. Die hatte auch keinen leichten Job. Immer in diesen sauengen Gängen herumrollen, mit dem Servierwagen, und scheißfreundlich sein müssen zu betrunkenen Trotteln. Fürchterlich.

Heute war ein kleines Päckchen für sie angekommen. Es hatte vor der Haustüre gelegen: ein schlichter weißer Karton mit eleganter dunkler Schleife. Kein Absender drauf, schon mal dubios. Und Silke hatte weder Geburts- noch Namenstag. Bronzo war bei sowas schnell im Alarmzustand. In seiner Fantasie sah er eine giftige Spinne darin. Oder es waren nur Pralinen von Fontezza? Nein, das war auch unwahrscheinlich.

Er war drauf und dran, das Päckchen aufzureißen und sich zu vergewissern. Aber wenn es ein Geschenk von einer von Silkes Freundinnen war? Das konnte er schlecht bringen. Er würde aber Silke anbieten, es für sie zu öffnen, auf jeden Fall.

Ein Stunde später kam sie heim, ziemlich erschöpft. »Der Flug hatte Verspätung, tut mir leid. Turbulenzen. Puh, ich bin so gut wie tot.«

»Schau, was da heute für dich angekommen ist. Vielleicht frischt dich das ein wenig auf. Kein Absender angegeben. Dein stiller Verehrer?«

»Machst du Witze, Dietmar? Ich habe keinen Verehrer. Das wüsste ich.«

»Soll ich es für dich aufmachen? Du weißt, dass ich bei anonymen Sendungen im Alarm-Modus bin.«

»Ich mache das selbst. Aber du darfst zuschauen. Ich habe nämlich nichts zu verheimlichen.« Sie gab ihm einen Luftkuss.

Silke begann das Päckchen langsam zu öffnen. Erst die Schleife weg, dann den Tesafilm um den Deckel lösen und den Deckel vorsichtig anheben. Sie machte das, als gälte es eine Bombe zu entschärfen. Vorbildlich. Der Inhalt war mit transparenter Folie umwickelt. Es war ein kleines Schälchen, gefüllt mit rotbraunem Zeug. In der Mitte lag ein abgeschnittener Finger.

»Iiih, ist das eklig!» Silke trat vor Schreck drei Schritte zurück. »Dietmar, siehst du das? Ist das echt?«

»Bleib weg, Mäusle, ich schaue mir das genauer an.«

Es stellte sich heraus, dass der Finger ein billiger Faschingsartikel war. Und bei dem roten Zeug handelte es sich um zerbröckelte Blutwurst!

Fortsetzung folgt

abstand-linie

zinkl-harant_icon2

abstand-linie

Abbildung: Mylene Morissette auf Pixabay