BvsN-08

Fortsetzung von Blog Nr. 245

16. Februar, Donnerstag, 18.00 Uhr.

Gerald Neumann holte seinen großen Reisekoffer aus der Abstellkammer. Und stopfte auf die Schnelle seine wichtigsten Bekleidungsstücke hinein. Er befüllte den Kulturbeutel mit Niveacreme, Zahnbürste und -pasta, Rasierapparat und dem Wilkinson-Rasierwasser. Und mit einer Packung Gaviscon Dual. Noch zwei Paar Schuhe, der Koffer ließ sich kaum mehr schließen.

Dann ging er auf seinem Laptop online und googelte ein Reisebüro für einen Flug nach Bali. Der nächstmögliche Termin, ab München. Morgen, abends, am Freitag, um 21.30 Uhr mit Emirates vom Flughafen Franz Josef Strauß, ca. nach 25 Stunden Landung auf Bali, auf dem Ngurah Rai Airport. Mit Rückflug einen Monat später, ungefähr 1.250 Euro. Aber Gerald buchte nicht. Den Laptop ließ er aufgeklappt und die Reisebüro-Website stehen.

Nun ging er zum Festnetztelefon und wählte die 110. Er markierte den Aufgeregten, was ihm nicht schwer fiel. »Hallo? Bitte kommen Sie ganz schnell in die Schleißheimer Straße 211. Ich habe bei meinem Nachbarn Schüsse gehört. Und Schreie. Bitte beeilen Sie sich, ich habe Angst, dass da was Schlimmes passiert ist. Der Lärm kam aus der Nebenwohnung, bei Neumann.« Als ihn die Beamtin fragte, wer er sei, legte Gerald auf.

Er zog schnell seinen Wintermantel an, packte in die Taschen sein Portemonnaie, Schlüssel und Reisepass und natürlich sein Handy. Dann verließ er mit dem schweren Koffer die Wohnung, ohne sich nochmal nach Bronzo und der Kreitmayr umzuschauen. Die schliefen tief und fest. Er stolperte vom ersten Stock hinunter in den Keller und sperrte sein Kellerabteil auf. Es war ziemlich vollgestellt mit altem Zeug. Eine grindige Matratze stand aufrecht und verbogen in der hintersten Ecke. Er quetschte sich mitsamt dem Koffer dahinter, dann schaltete er sein Handy aus, wegen der Ortung.

Nun musste Gerald Neumann geduldig sein, was nicht gerade seine Stärke war. Die Polizei würde sehr bald kommen und in seine Wohnung eindringen. Damit waren Bronzo und die Alte erstmal in trockenen Tüchern. Die konnten von Glück reden, dass er so ein netter Kerl war und kein Mörder. Die Polizisten würden den Laptop sehen, mit dem Bali-Reisebüro, und glauben, er sei auf dem Weg zum Flughafen. Wenn Neumann Glück hatte, würden sie das glauben. Und wenn er massives Glück hatte, würde die Polizei nicht in sein Kellerabteil eindringen, in welchem es jetzt stockdunkel war.

Leider konnte er durch die Kellertüre aus Eisen nicht hören, was im Treppenhaus vor sich ging. Aber er schätzte, er würde einige Stunden hier hinter der Matratze verbringen müssen, bis es draußen safe war. Auf alle Fälle hatte er nun genügend Zeit sich zu überlegen, wohin er danach gehen bzw. fahren würde. Man würde eine Fahndung einleiten, nach Gerald Neumann. Kommissar Bronzo würde die Aktion vielleicht sogar leiten, er kannte Neumann ja schon. Ob Bronzo auf den Bali-Fake hereinfallen würde? Das konnte Gerald leider nicht abschätzen, aber Bronzo war nicht blöde. Der offene Laptop mit der Reisebüro-Website war vielleicht ZU offensichtlich gewesen.

Zeitweise bekam Gerald Panikgefühle und er musste sich immer wieder gut zureden, dass der bisherige Plan noch das Beste war, was möglich gewesen war, in seiner beschissenen Situation, die er — zugegebenermaßen — selbst verschuldet hatte.

Mittlerweile war es elf Uhr nachts. Alles ruhig vor und hinter der Matratze. Bronzo und die Polizei waren wahrscheinlich abgezogen. Sie waren nicht im Keller gewesen. Diese Deppen, da hatte Gerald mehr Glück als Verstand gehabt. Die Kreitmayr hockte entweder wieder in ihrer muffigen Wohnung — dahoam is dahoam. Oder man hatte sie sicherheitshalber ins Krankenhaus verfrachtet. Jetzt hatte sie wenigstens gescheit was zu tratschen und auszuschmücken, was mit ihr geschehen war. Gerald hatte ihr Leben bereichert. Bronzo würde sich grün und blau ärgern, dass er so naiv gewesen war, Neumann zu trauen und seinen Kaffee zu süffeln. Der grobe Bronzo, hinter’s Licht geführt.

Gerald wollte noch drei oder vier Stunden ausharren, bis es tiefste Nacht war. Dann würde er mit seinem großen Koffer das Haus verlassen. Hoffentlich standen die Bullen nicht davor, um zu checken, ob sich was Verdächtiges tat. Daher verließ er das Haus nach hinten raus, über den Hof und den Garten zum Nachbarn. Auf diesem Wege konnte er fast unsichtbar in irgendwelche Seitenstraßen gelangen und nachdenken, wie es weitergehen sollte mit seinem Leben. Welches seit einigen Tagen richtig aufregend war. Beinahe war er Bronzo sogar dankbar dafür, dass ihm dieser ein bisschen Action in sein Dasein gebracht hatte, seit jenem fiesen Verhör. Endlich war mal was los im Hause Neumann!

Aber ohne viel Geld war es schwierig auf der Flucht. Gerald hatte zwar ganz ordentlich gespart, aber konnte er in ein paar Stunden in die Stadtsparkasse latschen und dort sein gesamtes Erspartes abheben? Man würde ihm sagen, so viel Geld sei nicht vorrätig, er müsse dafür nächste Woche wiederkommen. Und das ging natürlich nicht, verdammt. Würde die Polizei sein Konto einfrieren? Soweit würde es vielleicht nicht kommen, schließlich war er ja kein Schwerverbrecher. Er hatte einen Plastikfinger mit Blutwurst verschickt und zwei Leute vorübergehend eingeschläfert. Soo schlimm waren also seine Vergehen nicht. Aber an einem Bankautomaten Geld abheben, soviel wie möglich, das würde er unbedingt tun. Am besten gleich.

Er konnte nur hoffen, dass man sich bei der Suche nach ihm auf den Münchner Flughafen konzentrierte. Vielleicht waren dort jetzt sogar schon Beamte, die das Personal an den Terminals anwiesen, auf einen gewissen Gerald Neumann zu achten. Damit dieser kein Flugzeug nach Bali nehmen konnte. Oder woanders hin. Keine Ahnung, wie dringlich die Polizei diese Sache anging. Immerhin hatte er einen der ihren chloroformisiert. Sollten sie nur den ganzen Flughafen absuchen, die Doofköpfe. Gerald war in ein Wespennest getreten. Nun musste er zusehen, wie er ohne Stiche davon kam. Spannend.

Er beschloss ein Taxi zu nehmen, nach Anzing. Dort wohnte eine alte Bekannte von ihm. Vielleicht konnte er bei Eviline vorübergehend unterkommen. In Anzing würde er erstmal sicher sein.

Fortsetzung folgt

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Abbildung: Sushuti auf Pixabay