Fortsetzung von Blog Nr. 246
17. Februar, Freitag, 9.30 Uhr.
Dietmar Bronzo hatte einen schlimmen Brummschädel. Das Teufelszeug im Kaffee und danach auch noch Chloroform, eine Kombination, die dem Kommissar schwer zu schaffen machte. Er hatte diesen Neumann unterschätzt, das war ein ganz ausgefuchster kleiner Wichser. Dass er auch noch die Nachbarin in den Tiefschlaf geschickt hatte, unglaublich! Man hatte sie ins Krankenhaus gebracht, vorsichtshalber. Sie war ja schon über achtzig, da konnte sich eine volle Dosis Chloroform heftig auswirken. Bronzo hatte sich nach ihr erkundigt, es ging ihr gut, angeblich quatschte sie ohne Punkt und Komma, von einem Einbrecher, den ihr Nachbar ausgeschaltet hatte. Man würde sie bestimmt bald wieder heimschicken, die Frau Kreitmayr.
»Hier, mein Lieber, eine heiße Hühnerbrühe, die wird dich wieder fit machen. Soll auch gut gegen Kopfschmerzen sein.«
»Mäusle, hast du Aspirin reingetan? Sonst wird es nicht viel helfen.«
»Du hättest mir sagen sollen, dass du den Absender dieses Blutwurstfingers aufsuchen wirst. Dieser Mensch hätte dich erstechen können, als du bewusstlos warst. Und niemand hätte gewusst, wo man dich finden kann. Eine Katastrophe wäre das gewesen.« Silke umarmte ihren Mann von hinten.
»Ich habe diesen Neumann tatsächlich unterschätzt. Der Blutwurstfinger war anscheinend der Köder, mit dem er mich in seine Wohnung locken wollte. Ein raffinierter Hund — und sein Plan ist aufgegangen. Der Mann ist mir ein Rätsel: auf der einen Seite ein weinerlicher Schisser, auf der anderen ein kaltblütiger Planer.«
»Wirst du ihn finden?«
»Mäusle, darauf kannst du Gift nehmen. Diesen Burschen knöpfe ich mir noch vor. Aber erst müssen wir rausfinden, wo er sich verkrochen hat. Er wollte die Polizei wissen lassen, dass er nach Bali fliegen wird. ICH glaube, das war ein Täuschungsmanöver, aber natürlich haben wir am Flughafen Bescheid gegeben. Der schafft es heute abend nicht in die Maschine nach Asien, die Leute am Terminal wissen Bescheid.«
»Und wenn er ganz woanders hinfliegen will? Nach Paris oder nach Oslo zum Beispiel.«
»Schwierig, Mäusle. Wir könnten natürlich an allen Stellen kontrollieren lassen, aber was für ein Aufwand wegen einem Mann, der im Grunde nicht viel verbrochen hat! Bisher zumindest.«
»Vielleicht ist Neumann gar nicht am Flughafen.«
»DAS glaube ich auch! Aber die Suche nach ihm hat ja nun nicht gerade die höchste Dringlichkeitsstufe. Er ist ja kein Mörder. Zumindest konnte ich es ihm bei der Landauer nicht nachweisen. Also: Ich mache jetzt erstmal langsam mit meinem Brummschädel. Ab Montag erkundige ich mich bei Neumanns Schafkopffreunden. Vielleicht ist er bei einem von denen aufgetaucht. Was ich zwar nicht glaube, aber, soviel ich mitbekommen habe, hat er keine Eltern mehr und auch keine Geschwister. Ehrlich gesagt, Mäusle, mache ich mir nicht viel Hoffnung, dass wir ihn schnell aufstöbern können.«
»Du machst das schon, mein Schatz. Du bist doch der beste Ermittler, den die Polizei hat.«
»Ach Mäusle, schmier mir nur Honig ums Maul. Ich bin leider kein Kommissar Maigret. Im Gegenteil, ich Narr habe die Sache doch selbst verschuldet, weil ich diesen Neumann so hart rangenommen hatte, beim Verhör. Jetzt scheint es ihm Spaß zu machen, Blutwurstfinger zu verschicken und Leute zu betäuben.«
»So wie der Joker Batman erschaffen hat, als er dessen Eltern ermordete.« Silke kicherte. »Dass ich das weiß, hättest du nicht gedacht, gell? Jack Nicolson und Michael Keaton!«
»Dann wäre ich Joker und Neumann wäre Batman. Herzlichen Dank für diesen genialen Vergleich. Naja, es gibt Schlimmeres als mit Jack Nicolson verglichen zu werden. Aber Neumann als Batman? Pffff, dann steht mir ja noch einiges bevor. Ich lege mich jetzt ins Bett, mir ist immer noch schlecht. Gute Nacht, Mäusle.«
Doch der Kommissar kam nicht zur Ruhe. Ständig wiederholte sich in seinem Kopf die Szene in Neumanns Wohnung — bis zu dem Moment, wo ihn dieser außer Gefecht gesetzt hatte. Im Präsidium würde es am Montag einige unangenehme Fragen geben, wie es überhaupt dazu hatte kommen können.
So oft Bronzo seiner Frau auch gesagt hatte, dass er keinen Bock mehr auf diesen Job habe, nach über dreißig Dienstjahren — auf seine Beamtenpension verzichten zu müssen, das war nochmal etwas ganz anderes. Silke war vierzehn Jahre jünger als er. Sollte sie ihn für den Rest seines Lebens etwa durchfüttern müssen, mit ihrem Gehalt als Stewardess? Wo hatte er sich da nur hineinmanövriert? Er war gewissermaßen abhängig davon, was Neumann beschließen würde zu tun. Dass dieser sich bisher nicht bei Bronzos Vorgesetztem, Markus Leitinger, beschwert, sondern als lächerliche Rache nur einen Scherzartikel in Blutwurstbrei verschickt hatte, war direkt noch ein Glück gewesen.
Genau: Das Päckchen mit dem Blutwurstfinger würde am Montag auch Fragen aufwerfen. Die Beamten hatten es nämlich geöffnet und konnten sich darauf natürlich keinen Reim machen. Oder würden Sie es als Faschingsgaudi am Rosenmontag auffassen? Auf keinen Fall durfte herauskommen, dass es Bronzo selbst mit in die Wohnung gebracht hatte.
Wie auch immer, Bronzo würde behaupten, er hätte an Neumann noch ein paar Fragen gehabt. Aber wieso hatte ihn dieser dann betäubt? Wegen ein paar Fragen? Völlig unlogisch. Bronzo könnte Leitinger die Theorie unterbreiten, dass Neumann einfach irre war, vor Angst eingesperrt zu werden. Und Bronzo deshalb betäubt hatte. Dass Neumann das auch mit der Nachbarin gemacht hatte, unterstrich vielleicht die Theorie, dass Neumann verrückt war — und zu allem fähig. Aber Leitinger war kein Trottel, er würde ahnen, dass diese Geschichte nicht richtig zusammenpasste.
Bronzo ertappte sich dabei, dass er dachte, es wäre am besten für ihn, er könnte Neumann mundtot machen. Dann würde diese beschissene Angelegenheit unter dem Deckmäntelchen des Schweigens bleiben. Deshalb musste er ihn finden, er ganz allein.
Fortsetzung folgt
Abbildung: Gerd Altmann auf Pixabay