BvsN-18

Fortsetzung von Blog Nr. 256

22. Februar, Mittwoch, 10.00 Uhr.

Dietmar Bronzo fuhr nach Poing, der Ort lag 22 Kilometer östlich von München. Er hatte vor, sich bei Polizeihauptmeister Meise persönlich zu informieren: über den Autodiebstahl in der Nachbarortschaft Anzing auf dem Lidl-Parkplatz und über den Austausch der Kfz-Schilder am Ebersberger Forst. Außerdem wollte er mit dem Inhaber des Smarts sprechen, um eine noch bessere Beschreibung des Täters — vermutlich war es Neumann — zu erhalten.

»Grüß Gott, Herr Kollege! Es ist mir eine Ehre, wir bekommen ja selten Besuch aus der Landeshauptstadt. Sie haben meine E-Mail doch erhalten?«

»Danke, Herr Meise, habe ich. Aber weil mir der Fall besonders am Herzen liegt, dachte ich, ich mache mir mal selbst ein Bild, vor Ort. Ich würde mich auch gerne mit dem Besitzer des gestohlenene Wagens unterhalten, vielleicht kann mir dieser noch ein paar Hinweise geben, welche mir weiterhelfen.«

»Übrigens, Herr Bronzo, mittlerweile ist mir eine neue Straftat in Anzing gemeldet worden. Vermutlich war es eine Straftat, die betreffende Person ist sich da nicht hundertprozentig sicher. Ungewöhnlich viel los bei den Anzingern zur Zeit.«

»Herr Meise, ich möchte jeder Spur nachgehen. Was ist passiert?«

»Also, das Ehepaar Birkl bekam letzten Freitagmittag Besuch von einem alten Bekannten. Dreimal dürfen Sie raten, um wen es sich handelt.«

»NEUMANN!«

»Exactamente! Dieser Gerald Neumann, den Sie in Verdacht haben, den Autodiebstahl begangen zu haben.«

»Was ist vorgefallen?«

»Nachdem sich Neumann von dem Ehepaar wieder verabschiedet hatte, ist Cornelius Birkl aufgefallen, dass seine Brieftasche fehlt. Ein unangenehmer Verlust, weil sich alle seine wichtigen Dokumente wie Scheckkarten, Führerschein und Personalausweis darin befanden. Birkl dachte zuerst, er hätte die Brieftasche irgendwo liegengelassen, aber als er das so gut wie ausschließen konnte, fiel sein Verdacht auf den Besucher: Neumann!«

»Herr Meise, das könnte passen!«

»Und außerdem: Frau Birkl hat ausgesagt, dass Neumann ihrem Gatten sogar ein wenig ähnlich sieht. So gesehen hat er den Personalausweis vielleicht gut gebrauchen können.«

»Und Geld war in Birkls Brieftasche sicher auch drin.«

»Genau, immerhin ungefähr 350 Euro.«

»Für einen Flüchtigen, der nicht mehr an sein Bankkonto ran kann, weil er Angst hat, beim Einloggen geortet zu werden, ein brauchbarer Betrag. Davon kann er ein paarmal tanken.«

»Wollen Sie die Adresse der Birkls? Dann können Sie sich das Interview mit dem Smart-Besitzer vielleicht sparen.«

»Unbedingt, Herr Meise, unbedingt!«

Bronzo fuhr von der Polizeiinspektion Poing direkt nach Anzing in die Friedrich-Merg-Straße, zu der Doppelhaushälfte der Birkls. Leider war niemand daheim, was ihn nicht wunderte. Heute war ein normaler Werktag. Er würde es am späten Nachmittag nochmal versuchen. Aber nun ging zumindest was voran!

Um die Zeit zu überbrücken, ging Bronzo Mittagessen. Viel Auswahl gab es nicht in Anzing, gegenüber der Kirche war der — wie treffend — Kirchenwirt. Dort bestellte sich Bronzo ein Schnitzel Wiener Art mit Pommes, dazu einen gemischten Salat. Er war der einzige Gast, das war schon etwas anders als in München, wo man inzwischen fast überall reservieren musste, um einen Platz zu bekommen.

Nach dem Essen ging er spazieren. Er kam an einem skurrilen Haushaltswarenladen vorbei und weil er die Zeit totschlagen musste, schaute er hinein. Ein wildes Sammelsurium an Waren erwartete ihn, von nützlichen Dingen bis hin zu lustigen Geschmacklosigkeiten.

»Grüß Gott, ich suche nichts Bestimmtes, möchte mich bloß mal etwas umschauen.«

»Schauen Sie in aller Ruhe, bei mir hat noch jeder was gefunden, was er brauchen konnte.« Die alte Dame schien ihn zu studieren.

»Ach, da fällt mir was ein. Haben Sie einen Woigler?«

»Einen Woigler! Dass es noch jemanden gibt, der dieses Wort kennt!«

»Ein Nudelholz, meine ich.«

»Ich weiß, doch, was ein Woigler ist, Herr…«

»Bronzo. Normalerweise hat man so was ja im Haushalt, aber meine Frau und auch ich backen so gut wie nie. Kürzlich habe ich mich jedoch daran erinnert, dass meine Mutter damals in meiner Kindheit öfters eine Art Apfeltaschengericht mit Kartoffelteig gemacht hat. Das war meine Leib- und Magenspeise, ich habe mich jedesmal vor Begeisterung daran fast überfressen. Und das wollte ich kürzlich mal ausprobieren. Und für den Teig braucht man eben so einen… Woigler.«

»Und viel Mehl, sonst pappt Ihnen der Teig auf dem Brett fest! Dafür braucht man Übung.«

»Ich probiere es einfach mal, wird schon schiefgehen.«

Frau Kettenbichler hatte das Nudelholz natürlich in ihrem Warenfundus, das war eine ihrer leichtesten Übungen. Bronzo fuhr danach zum Tennispark Sepp Maier, um sich den Tatort des Schilderaustauschs anzusehen. Das nützte ihm natürlich nichts bei seinen Ermittlungen, aber er hatte ja Zeit — und außerdem konnte er dort auch ein Stück in den Ebersberger Forst hineinspazieren. Frische Waldluft einatmen. Es war sehr lange her, dass er im Wald gewesen war. Ein Kommissar kam in der Regel nur in den Wald, wenn man dort eine Leiche gefunden hatte, leider.

Um 17 Uhr versuchte er sein Glück nochmal am Haus der Birkls. Eine Frau mittleren Alters öffnete ihm.

»Grüß Gott, Frau Birkl. Meine Name ist Bronzo. Ich bin ermittelnder Kommissar im Fall Gerald Neumann. Der Kollege Meise von der Polizeiinspektion Poing hat mich informiert, dass sie kürzlich Besuch von Herr Neumann hatten — und dass ihr Mann seitdem seine Brieftasche vermisst.«

»Ah, Grüß Gott! Also ich kann ja echt nicht glauben, dass Gerald die gestohlen hat. Cornelius hat sie mit größerer Wahrscheinlichkeit selbst verschlampt. Ich habe dem Polizisten auch schon alles dazu gesagt.«

»Naja, Frau Birkl, es könnte durchaus sein, dass es Herr Neumann gewesen ist, der die Brieftasche entwendet hat. Er ist nämlich seit letztem Donnerstag auf der Flucht, er hat sich in München eines schweren Vergehens schuldig gemacht.«

»WAS? Hat Gerald jemanden umgebracht?«

»Das nicht, aber er hat zwei Leute stark betäubt und gefesselt und ist dann hierher geflüchtet, nach Anzing. Und er hat hier auch noch ein Auto gestohlen. Nun ist Neumann vermutlich damit unterwegs — leider weiß die Polizei aktuell nicht, wohin er gefahren ist. Deshalb bin ich hier, Frau Birkl.«

»Kommen Sie doch herein, Herr Kommissar. Aber ich weiß nicht, was ich Ihnen da noch erzählen soll.«

»Ach, da fällt mir durchaus so einiges ein.«

Eviline Birkl führte Bronzo ins Wohnzimmer, da saß noch eine andere Dame.

»Das ist meine Schwester Conny. Die kennt den Gerald auch von früher. Wir waren damals alle auf der Realschule Markt Schwaben, wissen Sie. Pfanzelt hieß der Direktor. Das war vielleicht ein Ekel.«

»Grüß Gott, Frau… «

»Linder, Cornelia Linder.« Die Schwester gab Bronzo die Hand.

»Also meine Damen, Herr Neumann ist seit Freitag flüchtig. Er ist mit einem gestohlenen Smart unterwegs. Wir wissen nicht, wohin. Wohin könnte er gefahren sein — das frage ich jetzt ganz einfach mal Sie beide.

»Das wissen wir doch auch nicht!« sagte Eviline Birkl. »Er hat mir das nicht gesagt, der Gerald. Ich habe ihn auch nicht gefragt, weil ich mir dachte, er fährt natürlich zurück nach München, in seine Wohnung.«

»Können Sie sich erinnern, ob Neumann während seiner Schulzeit einen besten Freund hatte, der inzwischen weiter weg wohnt? Den er besuchen könnte. Sie, Frau Birkl, hat er doch auch spontan besucht.«

»Ach, das ist ja dreißig Jahre her! Da wissen wir nix«, sagte Frau Linder.

»Oder hatte Herr Neumann vielleicht eine Freundin, die inzwischen nicht mehr in der Gegend wohnt?«

»Ach, der liebe Gerald, der scharwenzelte doch immer nur um mich herum«, kicherte Frau Birkl, »der hat sich für keine andere interessiert.«

»Das stimmt!«, sagte Frau Linder. »Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir auch wieder ein. Der war ja sowas von in dich verknallt.«

Bronzo ließ nicht locker. »Und sonst? Gab es sonst vielleicht noch jemanden? Bitte denken Sie gründlich nach, es ist wichtig. Der Mann ist gefährlich!«

»Ach, der Gerald und gefährlich! Der war doch ein Träumerlein. Ich glaube, er hatte damals zeitweise eine Brieffreundin. Mir hat er immer erzählt, dass er die besuchen würde, aber er sagte auch, das wäre ziemlich weit weg, mit dem Zug.«

Birkls Schwester stimmte zu. »Jetzt, wo du es sagst, Evi! Stimmt! Aber wo diese Brieffreundin gewohnt hat, das weiß ich beim besten Willen nicht mehr. War das vielleicht in Nürnberg?«

»Nein, Conny, Nürnberg, glaube ich, war es nicht. Irgendwas mit Meer. Kann das sein?«

»Ans Meer wäre Gerald als Schüler nie gefahren. Das wäre ja so weit weg wie Jesolo! Viel zu weit!«

»Stimmt, das hätte er sich nie getraut. Der hat sich sowieso nie was getraut. Gerald wäre nie ans Meer gefahren.«

»Vielleicht nach Mehringen? Gibt es so eine Stadt überhaupt?« Frau Linder nahm ihr Smartphone und fing an zu googeln. »Das gibt es! Ein Stadteil von Aschersleben in Sachsen-Anhalt. Mehringen!«

»Meine Damen, ich glaube, so kommen wir nicht weiter. Diese Vermutungen sind dann doch recht vage.«

»Wir haben Ihnen doch gesagt, dass das zu lang her ist. Vielleicht ist Gerald nach Österreich gefahren. Er sagte mir mal, der Wiener Prater würde ihn interessieren. Ja, das kann gut sein, dass er nach Wien ist, mit dem Zug.« Frau Birkl nickte heftig.

»Jetzt, wo du es sagst, Evi! Stimmt! Er wollte nach Wien, sich mal den Prater anschauen, das Riesenrad. Und den Heurigen. Genau!«

Bronzo verabschiedete sich von Frau Birkl und Frau Linder, leicht genervt. Hier kam er nicht mehr weiter. Aber er verstand das ja, woher sollten die beiden Damen auch wissen, wohin sich ihr ehemaliger Schulkamerad absetzen wollte, das war einfach zuviel verlangt. Mehringen in Sachsen-Anhalt, mein Gott!

Am Abend erzählte Bronzo Silke, was er tagsüber erlebt hatte. Das Erlebnis mit den beiden Schwestern schilderte er ihr besonders farbig.

»Es ist zum Haareraufen. Wie soll ich herausfinden, wo Neumann hin ist? Es ist völlig unmöglich.«

Silke wollte helfen. »Irgendwas mit Meer, sagten sie, richtig?«

»Ja, aber sie sagten auch Nürnberg, Wien und… Mehringen! Das liegt am anderen Ende von Deutschland. Was soll er in Mehringen!«

Silke dachte nach. »Sag mal, Dietmar, warst du eigentlich schon mal in Meersburg? Wunderschöne Stadt am Bodensee.«

»MEERSBURG! Silke, du bist ein Genie!«

»Naja, es gibt schon auch noch andere Orte mit Meer. Meerhusen zum Beispiel. Oder Meerfeld. Es gibt in Bayern auch einen Meerhofsee. Sagt mir alles Google.«

»Silke, mein Schatz, du hast doch zufällig jetzt ein paar Tage frei, richtig?»

»Ja, da wollte ich in unserer Wohnung mal klar Schiff machen. Die Wollmäuse in den Ecken beseitigen, das Bad putzen, den Duschvorhand waschen.«

»Wieso? So ein Duschvorhang wird doch jeden Tag gewaschen! Ich habe eine bessere Idee, Mäusle. Wir machen ein paar Tage Urlaub in Meersburg. Wenn es dort schon so schön sein soll. Ich buche uns eine günstige Pension bei booking.com.«

»Eigentlich eine nette Idee, Dietmar. Wir waren lange nicht mehr zusammen weg. Das machen wir!«

»Schön, Mäusle. Morgen früh brechen wir auf!«

Fortsetzung folgt

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Abbildung: Andreas Lischka auf Pixabay