BvsN-19

Fortsetzung von Blog Nr. 257

23. Februar, Donnerstag, 8.30 Uhr.

Vor einer Woche hatte ihn Bronzo in seiner Wohnung aufgesucht. Nun lag Babs in Gerald Armen, sie hatte ihn mit ihrer Sinnlichkeit und Leidenschaft vollkommen überrascht. Und es in kürzester Zeit geschafft, dass er sie nicht mehr loslassen wollte. Komme was wolle. Ihr Appartment war klein und einfach eingerichtet, beinahe puristisch. Ganz im Gegenteil dazu, mit welcher Wärme und Üppigkeit sie ihn beschenkt und verzaubert hatte.

»Musst du heute arbeiten, Babs?«

»Ja, leider. Aber morgen und am Wochenende habe ich frei. Du kannst bei mir gerne noch ein paar Tage übernachten. Wenn du magst.«

»Bei dir und MIT dir übernachten? Super, wie könnte ich so ein verlockendes Angebot ausschlagen. Heute ist ja wieder herrliches Wetter, ich werde mich also aufs E-Bike schwingen und mir Überlingen ansehen. Und beim Radeln an dich denken. Den Wintermantel lasse ich hier.«

»Dann sehen wir uns am Abend, Gerald?«

»Auf jeden Fall! Ich gebe dir noch meine Handynummer, dann bin ich für dich erreichbar und wir können uns am späten Nachmittag abstimmen. Okay für dich?«

»Klar.« Mit einem zärtlichen Kuss verabschiedeten sie sich. Gerald packte das Nötigste für einen Tagesausflug in seinen Rucksack, die Satteltaschen ließ er in Babs’ Wohnung. Dann machte er sich auf den Weg, mit dem Elektrorad war es nur eine Stunde nach Überlingen.

Dieser Ort gefiel ihm ähnlich gut wie Meersburg. Überlingen besaß eine schöne historische Altstadt und stimmungsvolle Uferpromenaden. Am Bodensee ließ es sich tatsächlich aushalten — er vermisste München nicht eine Sekunde lang, noch dazu wegen der unangenehmen Erinnerungen von vor einer Woche. Interessehalber inspizierte Gerald den Überlinger E-Bike-Verleih Weidmann, eventuell ließe sich da was deichseln. Wäre doch klasse, wenn Babs auch so ein Elektrorad hätte. Eine „Übernahme“ wie in Dußlingen würde allerdings nicht funktionieren, ohne die hilfreichen Ausweise von Cornelius Birkl. Vielleicht war es aber auch noch zu früh, um Babs so ein großes Geschenk zu machen.

Am Nachmittag begann das Wetter leider umzuschlagen, die Sonne und der blaue Himmel verschwanden hinter dichten Wolkenbänken. Gerald hoffte, dass es nicht anfangen würde zu regnen. Genau das tat es jedoch, kurz nachdem er die Rückfahrt nach Meersburg angetreten hatte. Innerhalb kürzester Zeit schüttete es wie aus Kübeln. Höchst ungewöhnlich für Februar! Er ärgerte sich über seine Nachlässigkeit, was regendichte Kleidung betraf. Dabei hätte er sich während der letzten Tage locker einen Regenponcho besorgen können. Nach zehn Minuten war er vollkommen durchnässt, seine Kleidung klebte an ihm wie ein nasser Lappen. Dazu kam noch, dass es sich um keinen warmen Sommerregen handelte — natürlich nicht! Er fror wie ein Schneider, als er um 16 Uhr das Ortsschild von Meersburg passierte. Selbst wenn er sich in Babs’ Appartement hätte umziehen können: Er musste ja fast alles an Klamotten in seinem gelben Koffer im Smart zurücklassen und bereute es nun, das Auto so schnell aufgegeben zu haben.

Er hatte eigentlich bloß eine Option: in ein Kaufhaus zu gehen und sich dort mit neuer Kleidung auszustatten. Sein Problem war nur, dass es in dem kleinen Meersburg gar kein Kaufhaus à la C&A oder H&M gab. Bibbernd vor Kälte googelte er auf seinem Smartphone herum, um ein passendes Geschäft zu finden. Er fand tatsächlich ausschließlich Damenboutiquen, es war ein Elend! Ein Outlet für Herrenbekleidung gab es allerdings zehn Kilometer nordöstlich, in Markdorf. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als dort hinzuradeln. Er biss die Zähne zusammen und stieg wieder „aufs Gas“.

Eine Stunde vor diesen Ereignissen bezogen Dietmar Bronzo und seine Silke ihr Urlaubsdomizil im malerischen Meersburg. Sie gönnten sich ein Doppelzimmer im Hotel „Wilder Mann“. Bronzo hatte sich bei der Buchung in München noch gedacht, dass der Name des Hotels doch ganz hervorragend zu ihm passte. Den wilden Mann hatte er ja nicht selten gegeben, zuletzt beim Verhör mit Neumann.

»Du Schatz, ich möchte mir für unser Abendessen gerne ein neues Outfit zulegen. Ich habe bei unserem Spaziergang durch den Ort ein paar nette Boutiquen entdeckt. Hast du Lust mich zu begleiten?«

»Im Prinzip schon, Mäusle, aber das erinnert mich daran, dass ich auch mal wieder eine neue Hose gebrauchen könnte. Ich will ja heute Abend neben dir nicht abgerissen erscheinen.«

Bronzo kam bei seinen Shopping-Recherchen auf ein ähnliches Ergebnis wie Neumann: Einen guten Laden für Herrenbekleidung gab es nur im Nachbarort Markdorf. Mit dem Auto war das ein Katzensprung.

Als Gerald um kurz vor 17 Uhr nass und verfroren im Outlet ankam, stürzte er in den Laden, schnappte sich die erstbeste Daunenjacke und eine Jogginghose und verschwand damit in der Umkleidekabine. Er riss sich das klamme Zeug vom Leib und wärmte sich mit den beiden Teilen ein wenig auf, bevor er sich im Laden genauer umsehen wollte.

»Guten Tag, der Herr, kann ich Ihnen helfen?« So der höfliche Verkäufer, welcher einen maßgeschneiderten grauen Anzug trug.

»Danke, aber ich verschaffe mir erstmal einen Überblick. Ich brauche so einiges neu, nachdem mich der Regen komplett überrascht hat, auf dem Fahrrad.«

»Ah, alles klar. Wenn Sie Hilfe benötigen, einfach bei mir melden.«

Der Laden war hervorragend ausgestattet und Gerald wurde ziemlich schnell fündig. Er nahm drei Hemden, zwei Pullis, zwei Hosen und Unterwäsche mit in die Umkleidekabine. Besonders über die fette Daunenjacke war er froh, die würde ihm an kalten Frühlingstagen noch gute Dienste leisten. Er hatte sich gerade eine schwarze Cordhose angezogen und war im Begriff die Umkleide zu verlassen, um sich im Spiegel zu prüfen, da betrat Bronzo das Geschäft. Gerald sah und erkannte ihn sofort. Was machte der Kommissar hier? Wie hatte er herausgefunden, wo sich Gerald aufhielt. Unfassbar! Gerald wurde fast schlecht von der Überraschung, kreidebleich sprang er zurück in die Kabine und zog den Vorhang so weit zu wie möglich. Zum Glück hatte er alle für sich ausgewählten Klamotten hier drin gesammelt.

Er begann sich nun so viel wie möglich von den neuen Sachen anzuziehen, das alte nasse Zeug stopfte er in seinen Rucksack — und dann blieb ihm vorerst nichts anderes übrig, als in der Kabine auszuharren. Er hörte vor seinem Vorhang die Stimme des Verkäufers.

»Alles in Ordnung bei Ihnen, der Herr?«

Gerald, mit verstellter Stimme: „Danke, passt alles, ich probiere noch ein paar Teile an.«

Nun schien sich der Verkäufer dem neuen Kunden zu widmen. Er suchte für Bronzo anscheinend ein paar passende Hosen heraus, Gerald hörte, wie sie sich über Übergrößen unterhielten — die hatte das fette Schwein auch nötig. Dann kamen die beiden näher, Gerald wurde es heiß, auch wegen der vielen Klamottenschichten.

»Da schauen Sie, der Herr, diese Umkleide ist noch frei. Probieren Sie die Hosen in aller Ruhe. Wenn Sie Hilfe benötigen, einfach melden.«

Bronzo verschwand in der Kabine, gleich neben Gerald. Es war gruselig, den Feind so nahe zu wissen. Als er es nebenan rumoren hörte, huschte Gerald schnell heraus und lief mit den angezogenen neuen Klamotten und seinem Rucksack zügig zum Ausgang des Ladens.

»Hallo, der Herr, HIER ist die Kasse!« Der Verkäufer rief es laut zu Gerald hinüber, denn ihm schwante ein Diebstahlsversuch.

Genau deswegen kam Dietmar Bronzo auch aus seiner Kabine, er hatte nur die Unterhose an. Sofort erkannte er Gerald Neumann aus München. »NEUMANN! Bleiben Sie stehen!«

Bronzo wollte Gerald strumpfsockig nach, rammte dabei hektisch einen Verkaufstisch, stolperte über den Fuß eines Kleiderständers und rutschte auf dem glatten Marmorboden aus. Er landete auf allen Vieren, stieß sich dabei die Stirn heftig an einem Regal. »NEUMANN!«

Gerald riss die Tür des Geschäftes auf und lief so schnell er konnte die Straße hinunter, ums Eck, immer weiter. Sein E-Bike war an einem Fahrradständer angekettet, viel zu nahe am Outlet, um sich jetzt dorthin zu wagen. Er dachte in seiner Panik daran, dass ihm die Spielzeugpistole nützlich gewesen wäre. Aber die lag in einer seiner Satteltaschen in Babs’ Wohnung.

Was würde Bronzo tun? Die Polizei rufen wahrscheinlich. Oder selbst nach ihm suchen — sobald er wieder eine Hose anhatte. Gerald versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Er musste an sein Fahrrad. Raus aus diesem Ort. Es wurde schon dunkel, das half. Sollte er in ein nahegelegenes Café gehen? Dort würde man ihn vielleicht als erstes suchen.

An einem großen Wohnhaus drückte er hektisch mehrere Klingeln. Als endlich der Türsummer ging, huschte er schnell hinein, das Treppenhaus hoch, bis in den zweiten Stock. Dort setzte er sich auf eine Stufe und fühlte sich erstmal sicher. Er wählte die Handynummer von Babs, sprach ihr auf den Anrufbeantworter.

»Hi Babs, ich bin in den Regen geraten, darum noch nach Markdorf geradelt, will mir ein paar neue Anziehsachen kaufen, im dortigen Outlet. Ich melde mich wieder, bis später. Bussi.«

Ihn fror, obwohl er angezogen war wie ein Michelinmännchen. Zumindest hatte er für die neue Ware nichts bezahlen müssen. Diesmal hätte er die Rechnung vielleicht sogar beglichen. Da hockte er nun, die unbeschwerte Zeit am Bodensee war offensichtlich vorbei. Er war ab sofort wieder auf der Flucht. Zum Kotzen war das. Wie sollte er das mit Babs regeln? Über eine Stunde harrte Gerald im Treppenhaus aus.

»Was machen Sie denn hier auf der Treppe? Das ist kein Wartezimmer, suchen Sie jemanden?« Das war eine ältere Dame mit violett gefärbtem Haar.

»Ich warte auf das Jüngste Gericht.«

Sie sah ihn entsetzt an und »Also, so was…« in sich hineingrummelnd ging sie weiter.

Gerald verließ das Haus, vorsichtig schlich er in der Dunkelheit in die Richtung des Outlets. Alles ruhig. Der Laden schloss um 18 Uhr, das war vor einer Stunde gewesen. Von weitem sah er sein Rad am Ständer. Der Kommissar war sicher längst weg, was hätte er hier auch noch tun können, ohne zu wissen, wohin der Kriminelle geflüchtet war. Gerald entsperrte das Rad und fuhr ganz langsam aus dem Ort, Richtung Meersburg. Auf der Hälfte der Strecke machte dann der Akku schlapp. Kein Wunder, er hatte ihn seit Dußlingen nicht laden können. Die letzten fünf Kilometer bis Meersburg waren beschwerlich, denn für so ein E-Bike ohne elektrische Unterstützung brauchte man mehr Tretkraft als für ein normales Rad. Es fing wieder heftig an zu regnen. Dabei hatte dieser Tag so geil begonnen. Auf dem Rad versuchte er sich mit schönen Gedanken an die kommende Nacht mit Babs abzulenken. Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis er — total geschafft — bei ihrer Wohnung ankam.

Fortsetzung folgt

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Abbildung: PublicDomainPictures auf Pixabay