Fortsetzung von Blog Nr. 259
24. Februar, Freitag, 8.00 Uhr.
Gerald wachte auf und war froh, dass er diese Albtraumnacht überstanden hatte. Er hörte leises Klappern aus der Küche, Kaffeeduft stieg angenehm in seine Nase. Babs war anscheinend schon aktiv. Sie kam in einem schwarzen, mit großen roten Blumen bedruckten Morgenmantel herein und lächelte ihn an.
»Guten Morgen, mein Lieber. Magst du Kaffee?«
»Von der schönen Blumenfee liebend gerne.«
Sie gab ihm eine Tasse und setzte sich neben ihm ins Bett. Sie roch gut und er legte seine Hand auf ihren linken Oberschenkel. »Danke, dass du da bist, Wunderfrau.«
»Komplimente am Morgen. Pass auf, du verschießt jetzt schon dein ganzes Pulver.«
»Ach, da mache ich mir keine Sorgen, du inspirierst mich halt.«
»Und: Was wollen wir heute unternehmen? Also, ich hätte da schon einen Vorschlag.«
»Ich bin mit allem einverstanden — wenn wir es zusammen tun.«
»Klasse! Ich war schon lange nicht mehr in der Meersburg Therme. Heute ist ja normaler Werktag, da wird dort nicht besonders viel los sein. Jedenfalls ist man von dem Geschrei umhertollender Kinder verschont, ich habe das mal am Sonntag erlebt, das war die Hölle. Entspannung fand man dann nur noch in der Sauna.«
»Stimmt! Ich war dort tatsächlich alleine am letzten Faschingssonntag, das gab ein Riesenspektakel an der Rutsche. Mir kommt es übrigens so vor, als wäre es bereits eine Ewigkeit her, dass wir uns kennengelernt haben. In dieser Woche ist soviel Bedeutendes passiert.«
»Du sagst es, Gerald.« Sie küsste ihn. »Hast du überhaupt Lust, die Therme schon wieder zu besuchen?«
»Unbedingt! Ich will doch sehen, was du für schicke Badekleidung trägst! Du siehst im Bikini sicher sensationell aus.«
»Das könnte dir so passen«, sie lachte, »für einen Bikini fühle ich mich nicht mehr jung genug.«
»Aber ich fühle mich dafür mit dir, als wäre ich in einen Jungbrunnen gefallen! Kommst du nochmal zu mir ins Bett?« Sie kam.
Zwei Stunden später packte Babs eine Badetasche mit Handtüchern für sie beide, Gerald hatte zumindest seine Badehose nicht in Dußlingen im Smart zurückgelassen. So gegen halb zwölf brachen sie auf.
»Wir können dorthin zu Fuß gehen, einfach die Töbelestraße runter. Zieh dich bitte warm an, es hat nachts geschneit, typischer Spätwintereinbruch. Nicht, dass du wieder frieren musst.«
Gerald hatte kein Problem mit dem Wetter, er trug seinen Wintermantel. Aber ständig hatte er die düstere Vorahnung, als würde Bronzo gleich ums Eck kommen mit seinem „Neumann, bleiben Sie stehen!“-Geschrei. Nach der üblen Konfrontation im Herren-Outlet war er jetzt auf alles gefasst. Er fragte sich immer noch, wie Bronzo auf Meersburg gekommen war! Oder machte der Kommissar hier wirklich rein zufällig Urlaub? Das war schon ziemlich unwahrscheinlich. Babs schien nicht zu merken, dass ihm bei dem Spaziergang nicht besonders wohl war. Ihre warme Hand lag in der seinen. Es würde schon alles gutgehen heute. Hoffentlich!
An der Kasse der Meersburg Therme bekam man ein rotes Armband, das konnte man im Umkleidebereich mit dem ausgewählten Garderobenschrank verlinken. Es waren viele Schränke frei — ein gutes Zeichen dafür, dass wenig Besucher da waren. Handys durfte man nicht mit ins Bad nehmen. Nach dem Duschen trafen sie sich wieder in der Halle vor dem Pool. Babs trug einen schwarzweiß gestreiften Einteiler, der ihr ganz hervorragend stand. Er hatte eine dunkelgrüne Badeshort an. Sehr vorsichtig ging er auf dem nassglatten Boden. Er erinnerte sich nämlich, wie er bei der Flucht aus dem Outlet aus dem Augenwinkel Bronzo hatte hinknallen sehen. Verdammt, ständig kam ihm dieser widerliche Kommissar in den Sinn. Das verdarb ihm teilweise die wunderbare Zeit, die er mit Babs hatte.
»Schau, Gerald, da drüben am Fenster sind zwei Liegen frei. Da hat man einen schönen Ausblick auf den See. Lass’ uns die nehmen.« Babs breitete zwei große Badetücher über die Liegen. Neben ihnen lag eine schwarzhaarige, sehr gepflegte Frau.
»Grüß Gott, das ist der beste Platz hier, gell? Ein wunderbarer Blick auf den See. Ich habe das Gefühl, als wäre ich am Meer. Mein Mann und ich sind zum ersten Mal an diesem Ort — wissen Sie zufällig, ob man das Restaurant empfehlen kann?«
Babs sah sie freundlich an. »Ich war schon länger nicht mehr hier, aber ich glaube, für Feinschmecker ist es eher nicht so geeignet.«
Und Gerald: »Ich hatte kürzlich die Currywurst mit Pommes. Die kann ich bedenkenlos empfehlen. Kommen Sie aus Bayern?«
»Aus München. Mein Mann und ich sind gestern hier angekommen, ein traumhafter Ort. Ich wollte schon immer mal nach Meersburg.«
Gerald kam ein grauenhafter Verdacht. »Du Babs, ich schaue mir mal das Dampfbad an, das hatte letzten Sonntag geschlossen. Ist das okay für dich?«
»Na klar, ich schwimme erstmal ein paar Runden. Viel Spaß im heißen Dampf, mein Lieber, wir treffen uns dann wieder bei den Liegen.«
Und die Nachbarin: »Ich werde dann mal zu meinem Massagetermin gehen, man sieht sich.«
Genau in diesem Moment, fünf Meter entfernt, war Dietmar Bronzo im Begriff aus dem Wasser zu steigen. Er hatte noch seine Schwimmbrille auf, aber auch mit ihr sah er sofort, wer da drüben neben Silke stand. Das Profil kannte er mittlerweile. Dieser Sauhund machte hier einen auf Wellness, eine hübsche Freundin schien er auch aufgegabelt zu haben. Bronzo duckte sich und glitt zurück ins Wasser. Neumann hatte ihn ganz bestimmt nicht gesehen. Dieser spazierte seelenruhig am Pool entlang. Bronzo blieb wie ein Nilpferd bis zur Nase unter Wasser und versuchte herauszufinden, wo Neumann hinwollte. Anscheinend in den Saunabereich, ein Handtuch hatte er jedenfalls mit.
Bronzo verließ den Pool und watschelte vorsichtig in die gleiche Richtung. Neumann durfte ihn nicht sehen. Und er musste verdammt aufpassen, er sah sich nämlich schon auf dem nassen Pflaster ausrutschen und erneut hinknallen. Bronzo beobachtete, wie Neumann die Schilder neben den Saunakabinen las: Finnische Sauna, Infrarot-Sauna, Biosauna. Schließlich zog er seine Badesandalen aus und verschwand hinter der Holztüre zum Dampfbad.
Bronzo war noch unentschlossen. Sollte er ebenfalls hineingehen? Waren auch andere Leute im Dampfbad? Weitere Sandalen lagen jedenfalls nicht neben der Türe. Wenn sich Neumann alleine darin aufhielt, wäre das DIE einmalige Gelegenheit, die Sache zum Abschluss zu bringen. Bronzo trat ein, der heiße Dampf umschwallte ihn — für einen alten Saunaprofi wie ihn nichts Besonderes. Der Nebel war so stark, dass man nur erahnen konnte, wer sich hier aufhielt. Also konnte Neumann auch nicht sehen, von wem er Besuch bekam. Bronzo hatte Glück. Sie waren tatsächlich nur zu zweit.
Gerald Neumann saß auf der feuchten Kachelbank in der hinteren Ecke und fühlte sich unwohl. Ihm war es eigentlich viel zu heiß hier drin. Schon wollte er aufstehen und gehen, da kam jemand herein, ein großer korpulenter Typ. Der Dampf war zu dicht, um Genaueres sehen zu können, aber Gerald fuhr der Schrecken durch alle Glieder. Schnell kam der Typ auf ihn zu, es war tatsächlich Bronzo, splitternackt wie er selbst. Wortlos hob der Kommissar seine fetten Arme und griff mit beiden Händen an Geralds Hals. Voller Entsetzen wurde Gerald klar, was da vor sich ging. Er stieß seine Füße mit aller Kraft gegen Bronzos mächtige Oberschenkel. Dieser stöhnte nur, ließ aber nicht ab und machte weiter, Geralds Kehle zuzudrücken. Gerald schlug mit seinen Händen panisch in das Gesicht des Angreifers, er wollte schreien, aber brachte keinen Ton heraus. Dann trat er Bronzo mit voller Kraft in die Genitalien, Bronzo grunzte, packte Gerald schnell an den Füßen, zog und warf ihn auf den Boden. Dann hockte er sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn drauf und flüsterte: »Neumann, jetzt ist Feierabend.« Erneut umgriffen die Pranken aus dem Nebel Geralds Hals, Bronzo hockte so breit und schwer auf ihm, dass er nun weder Arme noch Beine zur Abwehr bewegen konnte. Ihn erfasste eine unvergleichliche Panik. Er würde hier sterben.
In diesem Augenblick öffnete sich die Türe, ein Hauch kalter Luft drang herein und es trat eine dünne nackte Dame in den Dampf.
»Was machen Sie denn da? Ist dem Mann schlecht geworden? Warten Sie, ich hole den Bademeister.«
Bronzo drehte sich erschrocken um, lockerte dabei den Griff, so dass Gerald heiser schreien konnte. »HILFE, EIN MÖRDER! ER WILL MICH UMBRINGEN!«
»Um Gottes Willen, lassen Sie den Mann los, sind Sie verrückt geworden? Ich rufe die Polizei. Hören Sie! Ich rufe die Polizei!«
Der Koloss im Dampf drehte sich um und blaffte die Frau an: »ICH BIN DIE POLIZEI!«
In diesem Augenblick konnte Gerald die Arme freibekommen und schlug Bronzo mit aller Kraft mit beiden Fäusten ins Gesicht, so hart er nur konnte. Er traf die Nase des Kommissars, es knackste leise, Blut strömte heraus und platschte wie schwarze Farbe auf Geralds Brust und Hals.
»Was ist denn hier los?« Das war ein weiterer Saunagast, diesmal ein muskulöser Kerl mit Glatze. »Gehen Sie von dem Mann runter, sind sie wahnsinnig?« Der Glatzkopf packte Bronzo an der Schulter, kippte ihn nach hinten und zuckte zurück, als er Bronzos entstelltes Gesicht durch den Nebel sah.
Gerald konnte sich nun endlich freimachen, kam hoch, brachte ein heiseres »Danke« zustande und drängte sich dann vorbei an dem Glatzkopf und der dünnen Dame — bloß raus aus der Dampfbadkabine. Draußen riss er seine Badeshort vom Haken, schlüpfte hektisch hinein und entfernte sich so schnell er konnte aus dem Wellnessbereich. Von hinten hörte er es noch brüllen: »Neumann, ich kriege dich!«
Als Gerald vor dem Pool ankam, rutschte er aus und stürzte sich aber auch mit Absicht ins Wasser. Die empörten Rufe von Schwimmern, welche sich gestört fühlten, ignorierte er — stattdessen schwamm er schnell in die Richtung, wo sich der Außenpool befand. Weil er letzten Sonntag schon hier gewesen war, kannte er sich ja aus. Er eilte durch den kleinen Wassertunnel, der Außenbereich war glücklicherweise gefüllt mit vielen Badegästen, die entspannt in dem badewannenwarmen Wasser hockten oder sich treiben ließen. Gerald suchte sich einen Platz ganz weit hinten, so konnte man ihn am wenigsten sehen. Die kalte Februarluft zupfte an seinen nassen Haaren, er zitterte wie Espenlaub, sein Hals tat ihm fürchterlich weh und ihm kamen Tränen der Erleichterung.
Fortsetzung folgt
Abbildung: MikeGoad auf Pixabay