Fortsetzung von Blog Nr. 260
24. Februar, Freitag, 12.00 Uhr.
Dietmar Bronzos Nase fühlte sich komisch an. War sie etwa gebrochen? Allerdings spürte er keinen Schmerz — vielleicht wegen dem Adrenalin? Er rappelte sich keuchend hoch, vor ihm stand der muskulöse Glatzkopf und versperrte ihm den Weg aus dem Dampfbad.
»Ich muss ihm nach, das ist ein gesuchter Verbrecher.«
»Nichts da. Ich habe genug gesehen. Das lassen wir von der Polizei klären, sie gehen nirgendwo hin, bis die Beamten hier sind.« Der glatzköpfige Kerl schien in seinem Element zu sein.
Bronzo glotzte ihn an, dann stieß er ihn mit voller Wucht zur Seite. Der Glatzkopf knallte mit dem Rücken an die gekachelte Sitzbank. Die dünne Dame war schon draußen, sie rief laut nach dem Bademeister, wollte gewissenhaft darüber Bescheid geben, was sie im Dampfbad gesehen hatte. Bronzo stürzte hinaus. »NEUMANN!« Dann wurde ihm plötzlich klar, in welcher Lage er sich befand. Nackt und mit blutigem Gesicht wankte der korpulente Mann an der dünnen Dame vorbei aus dem Wellnessbereich, andere Badegäste sahen ihn entsetzt an und wichen ihm aus. Ein kleines Mädchen deutete auf ihn. »Was ist mit dem Mann? Ist der krank?«
Bronzo verschwand in der Männerdusche, er musste sich beeilen, denn der glatzköpfige Kerl war vielleicht hinter ihm her, dieses wichtigtuerische Arschloch. Er trat hinaus in den Umkleidebereich, sah auf die Nummer seines Armbands und suchte nach dem Schrank mit seinem Zeug. Es war menschenleer hier. Gut. Er trottete durch die engen Gänge zwischen den Schränken. Nummer 269. Er hielt das Armband an den Schrankbutton, die Türe öffnete sich nicht. Bronzo fluchte, versuchte es erneut. Und nochmal. Bis er merkte, dass er vor Schrank 270 stand. Bei 269 sprang die Türe auf. Mit blutigen Fingern holte er seine Unterwäsche heraus. Dann Hose, Hemd, Daunenjacke. Er zog sich hektisch an, die Meersburger Polizei würde aber wahrscheinlich nicht so schnell hier sein. Bronzo musste raus aus dem Gebäude. Wie er das alles Silke erklären würde, schob er erstmal zur Seite. Langsam fing seine Nase an richtig weh zu tun.
Bronzo versuchte so unauffällig wie möglich das Drehkreuz zur Vorhalle zu passieren, hatte jedoch das Gefühl, als würde er von allen Seiten unter Beobachtung stehen. Kameras gab es hier mit Sicherheit, die zeichneten alles auf, dies zum Thema „unauffällig“. Scheißegal, alles scheißegal. Nur raus hier aus dem Gebäude, aus der verfluchten Meersburg Therme. Bronzoflucht. Der eiskalte Wind half seiner Nase, sie tat gleich nicht mehr so weh. Er suchte nach dem Autoschlüssel, bis ihm klar wurde, dass er mit Silke zu Fuß hergekommen war. Und SIE hatte den Zimmerschlüssel fürs Hotel. Er trottete die Straße hinunter, es hatte wieder zu schneien begonnen. Die Flocken tanzten ihm vor der kaputten Nase herum, er wollte sich schneuzen, zuckte aber vor Schmerz zurück. Er hatte auch Blutgeschmack im Mund. Von weitem hörte er die Polizeisirene. Das galt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ihm. Er zog den Hut tiefer und lief langsam in Richtung Strandpromenade. Ein paar Spaziergänger kamen vorbei, sie nahmen keine Notiz von ihm. Wieso sollten sie auch?
Gerald wagte es nicht mehr, den Außenpool zu verlassen. Babs würde ihn wahrscheinlich schon suchen, sie hatte von dem Aufruhr im Wellnessbereich vielleicht etwas mitbekommen. Jetzt konnte er nur hoffen, dass SIE ihn hier fand. Niemand sonst durfte ihn entdecken, kein Bademeister und erst recht nicht die Polizei. Die Badegäste trieben gelassen im pisswarmen Wasser herum, der Himmel war grau. Gerald tauchte den Kopf unter, um der kalten Luft zu entgehen. Als er wieder hochkam, sah er Babs, wie sie durch den kleinen Tunnel in den Außenpool glitt. Kluges Mädchen mit dem richtigen Riecher! Er winkte ihr von ganz hinten, sie erkannte ihn gleich.
»Gerald! Ich habe dich überall gesucht! Stell dir vor, die Polizei ist gekommen. Irgendwas muss passiert sein, bei den Saunen. Wieso bist du nicht zu unseren Liegen gegangen, wie es vereinbart war?«
»Babs, schön, dass du hier bist. Gott sei Dank!«
»Was ist mit deiner Stimme? Du klingst ja schrecklich. Was ist das Gerötete an deinem Hals? Sieht aus wie ein Sonnenbrand. Das hattest du vorher nicht.«
»Bitte sprich leise, Babs. Wir müssen unauffällig bleiben, ich erkläre es dir gleich. Mir tut das Sprechen noch weh.«
»Wieso unauffällig? Was ist denn passiert?« Sie flüsterte.
»Im Dampfbad. Ein riesiger Kerl drehte offensichtlich durch und begann mich zu würgen. Völlig grundlos. Ich dachte schon, das war es jetzt mit mir, da kamen Gott sei Dank Leute herein und haben geholfen. Ich habe vor Panik die Flucht ergriffen und bin hierher geschwommen. Was mit dem Angreifer passiert ist, weiß ich nicht.«
»Um Gottes Willen, mein Lieber, das ist ja eine abartige Geschichte! Du musst zum Arzt mit deinem Hals! Und wir müssen zur Polizei, die sucht vielleicht schon nach dir.« Sie sah ihn entsetzt an.
»Das tut sie, Babs. Das tut sie ganz sicher. Mir fällt das Sprechen aber noch sehr schwer. Und deshalb möchte ich den Beamten auch nicht begegnen. Jetzt kann ich noch nicht, muss mich erst etwas regenerieren. Doch das wird schon wieder, mit dem Hals und dem Sprechen.«
Sie schmiegte sich an ihn, umarmte ihn ganz fest und küsste ihn sanft auf den Hals. »Du machst Sachen! Okay, bleiben wir noch etwas hier im warmen Wasser. Es gibt schlimmere Orte. Also, langweilig wird es jedenfalls nicht mit dir, das habe ich schon gemerkt. Mein armer Schatz.«
Nach fünf Minuten kamen zwei Polizeibeamte ins Freie und schauten sich um, sie inspizierten anscheinend die Badegäste im Pool. Gerald zog Babs’ Kopf ganz nah zu sich heran und küsste sie lang und zärtlich. Ein unauffälliges Liebespaar erregte keinen Verdacht. Ob man die Kameras auswerten würde? Er war bestimmt zu sehen, wie er aus dem Dampfbad geflüchtet und in den Pool gesprungen war — hoffentlich war sein Gesicht nicht deutlich aufgenommen worden. Was war mit Bronzo? War er auf der Flucht? Hatte man ihn inzwischen verhaftet? Würde er sich vielleicht gar mit den Meersburger Kollegen arrangieren wollen? Wem würde man mehr glauben: einem flüchtigen Räuber oder einem Münchner Kommissar? Aber es gab ja doch zwei Zeugen, die Bronzos Mordversuch gesehen hatten!
Gerald und Babs schwammen zurück in den Innenbereich, die Polizei war abgezogen. Sie gingen zu ihren Liegen. Silke Bronzo war auch nicht mehr da. Hatte Sie mitbekommen, was ihr Ehemann angerichtet hatte? Hatte Sie mit ihm telefoniert?
»Du Babs, ich finde hier in dem Bad keine Ruhe mehr, ich möchte bitte gehen. Heim zu dir.«
»Klar. Nach dem, was du mir erzählt hast, habe ich auch keine Lust mehr länger zu bleiben. Und ich werde mich hüten, den Wellnessbereich zu betreten oder sogar die Dampfkabine. Oh Gott! Wir gehen heim und ich koche uns was Gutes.«
»Das ist lieb, mal sehen, wie ich das Schlucken hinbekomme. Aber meine Stimme hört sich schon wieder besser an, oder?«
»Naja, singen solltest du erstmal nicht.« Sie lächelte ihn an. Ob sie ahnte oder sogar wusste, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte? Wie auch immer, irgendwann würde sie es sowieso erfahren. Aber jetzt noch nicht. Sie packten zusammen. Er sah sich immer wieder um, ob der Glatzkopf oder die dünne Dame zu sehen waren — seine Retter. Er hätte sich ja gerne noch bei ihnen bedankt, wollte aber bloß keine Komplikationen verursachen, die beiden sollten sein Gesicht besser nicht kennen. Sie kamen ohne einen weiteren Vorfall aus dem Gebäude. Es schneite. Babs hakte sich bei ihm unter und sie liefen den gleichen Weg zurück, den sie mittags gekommen waren.
»Und du willst nicht zur Polizei, Anzeige gegen Unbekannt erstatten? Dieser Kerl ist doch gemeingefährlich, auch eine Bedrohung für andere, der muss schnellstens verhaftet werden. Wenn er es nicht schon ist.«
»Das mache ich auf jeden Fall morgen, Babs. Falls dieser Irre fliehen konnte, wird man ihn mit den Sicherheitskameras im Bad bestimmt aufspüren können. Und es gibt ja zwei weitere Zeugen, die gesehen haben, was passiert ist. Oh Gott, ich habe echt gedacht, der bringt mich um.«
Als sie in Babs’ Wohnung waren, machte sie Spaghetti Napoli. Einfach, aber gut. Gut war es auch, wieder hier zu sein. Draußen lauerte überall die Gefahr.
Bronzo saß in der Hotellobby in einem großen weichen Stoffsessel und wartete auf Silke. Wie lange würde es dauern, bis ihn die Polizei finden würde? Wahrscheinlich schafften sie es gar nicht. Er wusste, wie die Provinzpolizei arbeitete. Beruhigend war das. Er hatte Silke angerufen und ihr von dem Vorfall nicht viel erzählt. Das ging am Telefon nicht. Als sie kam, sah sie sehr besorgt aus. Und als sie sein Gesicht sah, noch besorgter.
»Die Beule an der Stirn war wohl nicht genug. Jetzt hast du auch noch eine gebrochene Nase? Mensch, Dietmar! Was ist denn nun schon wieder geschehen? Wir müssen zum HNO-Arzt, auf jeden Fall. Ich will gleich googeln, welche Praxis in Frage kommt. Oder wir fahren sofort ins Krankenhaus. Du siehst fürchterlich aus.«
»Ich muss mich erstmal waschen, Mäusle. Und frische Sachen anziehen. Ich fühle mich wie durch die Mangel gedreht. Danach beschließen wir, was arztmäßig zu tun ist.«
»Erzähle mir bitte, was passiert ist. Die Polizei war im Schwimmbad. Wegen dir?«
»Ich wollte ins Dampfbad gehen, da saß Neumann drin. Ich habe ihn zuerst gar nicht erkannt, aber er mich offensichtlich schon. Er hat mich sofort angegriffen. Mir mit voller Wucht auf die Nase geschlagen. Dann ist er raus aus dem Dampfbad und verschwunden.«
»Und du hast die Polizei gerufen? Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
»Das war der Bademeister. Aber mir ging es so elend, dass ich sofort in die Umkleide bin und raus aus dem Gebäude.«
»Wieso bist du nicht zu unseren Liegen gegangen und hast dort auf mich gewartet? Ich war doch nur bei der Massage. Wir hätten danach gleich zum Arzt fahren können.«
»Ich wollte einfach raus! Verflucht! Hör bitte auf mit diesen Vorhaltungen. Ich kann das jetzt nicht hören. Die Scheißnase verheilt schon wieder. Boxer brechen sie sich dauernd.«
»Aber du bist kein Boxer!« Silke war jetzt auch sauer. »Hat man Neumann gefunden und verhaftet?«
»Verdammte Scheiße, woher soll ich das wissen? Ich weiß nur, dass mir das ganze Gesicht brennt. Ich gehe jetzt ins Bett.«
Fortsetzung folgt
Abbildung: congerdesign auf Pixabay
Die Slapstick-Einlagen in der Umkleide und der Sauna sind sehr amüsant, das würde Ed Herzog kongenial verfilmen. Jetzt braucht es aber mal eine Frauenrolle, die nicht nur aus Spaghettikochen und Trostspenden besteht. Wie wär’s mit einer scharfsinnigen Kommissarin, die den beiden Herren mal zeigt, wo der Hammer hängt?
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Mal sehen, Herr Schlicht. Vielleicht ab Folge 28.
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