Fortsetzung von Blog Nr. 262
24. Februar, Freitag, 16.15 Uhr.
Babs und Gerald waren in Schaffhausen angekommen. Er hatte während der Fahrt auf seinem iPhone bei booking.com nach einer günstigen Übernachtungsmöglichkeit gesucht. Ende Februar war es überhaupt kein Problem, freie Zimmer zu finden. Die Auswahl an Hotels und Pensionen war riesig.
»Da gibt es in Schaffhausen günstige Doppelzimmer in einem Hotel namens ZUK, in der Maurergasse! Die meisten sind für „Backpacker“ und mit Etagenbetten ausgestattet. Das erinnert mich an die Jugendherbergsaufenthalte während meiner Studentenzeit. Aber das sogenannte „Studio“ in Rot sieht echt gut aus. Die haben da neben dem Doppelbett auch einen riesigen roten Kühlschrank. Wollen wir das nehmen, Babs?«
»Ja, warum nicht. Der rote Kühlschrank, den brauchen wir unbedingt!« Sie lachte.
Eine halbe Stunde später hatten sie den Porsche in einer Tiefgarage untergebracht und im ZUK-Studio eingecheckt. Die Matratzen waren etwas zu weich, aber zum Schmusen völlig okay.
»Magst du eigentlich Käsefondue, Gerald? Das ist sehr typisch für die Schweizer Gastronomie.«
»Das weiß ich seit „Asterix bei den Schweizern“! Habe ich seit tausend Jahren nicht mehr gegessen. Sehr gerne! Ich lade dich natürlich ein, du hast ja schließlich das Benzin gezahlt.«
Gerald dachte daran, dass sein Bargeld so langsam schrumpfte. Von den 2.350 Euro waren aber immerhin noch 1.700 Euro übrig, es war also kein Grund, Panik zu schieben — wer klaut, der spart. Aber er hatte eine andere Sorge und die betraf nun leider auch Babs direkt. Er kämpfte mit sich, ihr endlich die Wahrheit zu erzählen, über seine Gesamtsituation und über Bronzo.
Angeblich gab es laut den Online-Bewertungen in dem Restaurant „Gernersbrunnerhof“ ein ganz ausgezeichnetes Käsefondue und Gerald reservierte einen Tisch für 20 Uhr. Das Lokal konnten sie zu gut Fuß erreichen, auch hier in Schaffhausen lagen Schnee und Matsch auf den Straßen und es war saukalt — leider noch kein erfreulicherer Schweizer Frühling in Sicht. Aber das Wetter war Geralds geringste Sorge. Sie hatten Spaß mit dem Eintauchen der Brotstücke in den heißen flüssigen Käse, dazu suchte Babs einen würzigen Grauburgunder heraus. Ihr Tisch war an einer ruhigen Ecke des Restaurants gelegen, dort konnte man sich unterhalten, ohne dass einen andere Gäste belauschten. Sollte er es wagen?
»Du, ich muss immer wieder an deine Erzählung denken, über die gurrenden Tauben und über die Schwermut im Bauch, die dich früher so oft belastet hat. Deine Offenheit und Ehrlichkeit hat mich nachhaltig beeindruckt — umso mehr, als wir uns ja erst seit vier Tagen kennen. Ich kann nicht anders und möchte dir nun endlich auch reinen Wein einschenken über mich. Ich hatte mich das bisher nicht getraut, weil ich unser wunderbares Zusammensein nicht kaputt machen wollte.«
»Oh, mein Gott, Gerald. Du bist verheiratet! Du hast eine Frau und Kinder in München!« Babs sah ihn entsetzt an.
»Nein Babs, es ist viel schlimmer!«
»Du bist schwer krank und hast nur noch kurze Zeit zu leben!«
»Naja, soo schlimm nun auch wieder nicht.« Er musste unwillkürlich lächeln. »Also pass auf.«
Dann erzählte er ihr von dem Mord an seiner Nachbarin Landauer und davon, dass ihn ein gewisser Kommissar deshalb auf sehr aggressive Weise verhört hatte, sogar unter Androhung von Folter.
»Der Mann ist ein Sadist und hatte Spaß an seinem „good cop, bad cop“-Spielchen — ich bekam es wirklich mit der Angst zu tun, weil er so wirkte, als würde er Ernst machen. Aber er hatte ja keine Beweise gegen mich und ich schwöre dir, ich habe mit dem Mord nichts zu tun!«
»Okay! Erzähl weiter!«
»Dieses Verhör hat mich so in meinem Selbstwertgefühl gekränkt und wütend gemacht, dass ich ein paar Tage danach ziemlich heftig reagiert habe. Ich weiß heute noch nicht, was da in mich gefahren ist, es war unüberlegt und verrückt — ich wollte mich ganz einfach rächen.« Gerald erzählte ihr von der Postsendung mit dem „Blutwurstfinger“ und dass ihn einen Tag nach Erhalt dieser Kommissar daheim aufgesucht hatte.
»Ich hatte dem Mann ja eigentlich nur einen Schrecken einjagen wollen, so wie er das auch mit mir beim Verhör gemacht hatte. Mir wurde nach dem Versand aber plötzlich klar, dass er mich deswegen bestimmt aufsuchen würde. Und das nicht zum Spaß. Also habe ich mich vorbereitet, falls er aggressiv werden würde. Als er von mir dann unter Androhung von Waffengewalt ein Geständnis wegen dem Blutwurstfingerpaket auf Band aufgenommen haben wollte, um mich ins Gefängnis zu bringen, brachte mich das voll aus der Fassung. Ich fühlte mich plötzlich in einer Notwehrsituation. Und beschloss, das nicht wieder hinzunehmen. Es war auf einmal auch ziemlich einfach. Er wollte ja unbedingt einen Kaffee haben. Den bekam er von mir, der Mistkerl. Das Betäubungsmittel dafür stammte von meinem alten Kumpel Chris, der ist Apotheker. Auf Chris ist immer Verlass — und er ist krass drauf.«
»Du bist aber auch krass drauf, mein Lieber! Du hast diesen Polizeikommissar wirklich betäubt? Und das soll ich dir glauben? Sowas traue ich dir echt nicht zu, Gerald. Allerdings klingt es so verrückt, dass es wohl wahr ist.« Babs war wie elektrisiert.
»Jedenfalls wollte ich kein Geständnis abgeben und deswegen in den Knast wandern! Ich dachte in diesem Moment nicht daran, wie ich den betäubten Polizisten raus aus meiner Wohnung würde schaffen können. Mir wurde dann aber sofort klar, dass ich das nicht hinbekomme. Der Mann ist ja viel zu schwer und ich habe doch auch bloß meinen Smart! Mir blieb also als Einziges nur noch die schnelle Flucht aus der Stadt. Das Auto wollte ich aber nicht nehmen. Habe deshalb das E-Bike mit in den Zug gepackt und bin nach Meersburg gefahren — einfach so. Ich weiß, dass ich dir wie ein Geisteskranker vorkommen muss.«
Die Sache mit der betäubten Kreitmayr, seine räuberischen Aktionen mit dem Smart und der Brieftasche in Anzing, dem E-Bike in Dußlingen und den Klamotten im Markdorfer Outlet ließ Gerald außen vor — es war für Babs sowieso schon allerstärkster Tobak, den er ihr hier auftischte. Dass ihn diese ganze Action zudem auch noch mit neuer Lebendigkeit erfüllt hatte, konnte er ihr erst recht nicht sagen.
»Also, ich weiß nicht! Wahnsinn! Du hast ja echt kriminelles Potential, mein lieber Psycho! Eigentlich sollte ich mich vor dir fürchten. Aber professionell geht anders, würde ich sagen. Und irgendwie finde ich es gut, dass du nach Meersburg gekommen bist.« Sie lächelte.
»Das war wirklich eine glückliche Wahl, Babs. Und es beruhigt mich sehr, dass du es relativ locker nimmst, ich war darauf vorbereitet, dass du auf der Stelle das Weite suchst. Leider ist die Geschichte noch nicht zu Ende mit Bronzo, das Krasseste muss ich dir jetzt auch beichten.«
»Ich glaube, ich bestelle uns sicherheitshalber noch eine Flasche Wein. Also, wie geht der Krimi weiter?«
»Dieser Kommissar Bronzo hatte entweder herausgefunden, dass ich mich in Meersburg aufhalte oder er ist mit seiner Gattin rein zufällig hingefahren, um Urlaub zu machen. Das weiß ich nicht.«
»Gerald, sag bloß, ER war der Mann im Dampfbad!« Sie flüsterte jetzt.
»Und seine Frau, Silke heißt sie, die saß ausgerechnet direkt neben dir, in der Therme! Als die Frau erzählte, sie sei mit ihrem Gatten aus München angereist, wurde mir schon ganz mulmig. Bronzo muss uns von weitem gesehen haben, denn offensichtlich hat er mich ins Dampfbad verfolgt. Den Rest der Geschichte kennst du ja.«
»Das ist die irrste Story, die ich jemals gehört habe, Gerald. Und ich darf hinzufügen: Wäre ich nicht Babara Raubinger, würde ich dich tatsächlich jetzt auf der Stelle hier sitzen lassen und danach wohl die Polizei informieren. Aber zufälligerweise habe ich dich wahnsinnig gern und psychomäßig ja auch schon einiges durchgemacht. Also alles im grünen Bereich.« Sie sah ihn ernst an.
Babs schien froh zu sein, dass er keine Frau und Kinder in München hatte, dachte sich Gerald. Die Beichte eines Kriminellen schien sie weit weniger zu schockieren.
»Wenn ich nur wüsste, warum mich Bronzo umbringen wollte! Damit hat er sich doch selbst furchtbar geschadet, Babs.«
»Also für mich ist das sonnenklar, mein Lieber! Wenn du dich bei der Polizei über seine sadistischen Verhörmethoden beschwert hättest, hätte der Mann vermutlich seinen Job verloren. Das wäre weit wirkungsvoller gewesen, als nur diesen Plastikfinger in Blutwurstbrei zu verschicken. Allerdings hätte es dich dann auch nicht nach Meersburg verschlagen.« Sie streichelte mit ihren Fingern sanft über seine rechte Hand.
»Und weil Bronzo nun befürchtet, dass ich das immer noch machen könnte, wollte er die Gelegenheit im Dampfbad nutzen, um mich für immer mundtot zu machen?«
»Das denke ich. Es ist natürlich verrückt, aber im Rahmen dieser verrückten Geschichte sogar plausibel. Und so ein Typ ist bei der Polizei!«
»Leider, meine Liebste, bist du nun in diese ganze Scheiße auch hineingezogen worden, was mir wirklich leid tut. Denn wenn Bronzo mich, seine Frau UND dich zusammen im Schwimmbad gesehen hat, dann könnte er nun herausfinden wollen, wer du bist. Und wie es der Teufel will, schafft er das auch. Ich habe in den letzten Stunden immer daran denken müssen, was passieren kann, wenn er dich im Café aufspürt. Auch deshalb musste ich dir das alles erzählen. Weil ich dich schützen will — vor seiner Gewalttätigkeit.«
Babs nahm einen großen Schluck vom Grauburgunder und Geralds Hand. »Was machen wir denn jetzt?«
»Ich bezahle die Rechnung und wir gehen zurück auf unser Zimmer mit dem roten Kühlschrank.«
»Genau! Eine super Maßnahme, du Gangster aus München.«
»Ich gehe nächste Woche zur Polizei, stelle mich und erzähle alles. Vielleicht bekomme ich ja mildernde Umstände und muss nicht für zehn Jahre ins Gefängnis.«
»Bronzo wird sich herausmogeln aus der Sache in dem Dampfbad. Da steht Aussage gegen Aussage, die Polizisten halten doch zusammen. Auch wenn es Zeugen gibt, die den Mordanschlag beobachtet haben wollen — es war ja laut deiner Schilderung so vernebelt in dem Raum, dass man nicht genau sehen konnte, was da vor sich ging. Ich vermute, für den Kommissar wird es glimpflich ausgehen, für dich aber eher nicht.«
»Shit, das kann sein.«
»Du gehst mir nicht in den Knast, mein Freund! Ich brauche dich hier bei mir. Alleine schon wegen dem Gurren der Tauben und meinem empfindlichen Bauch. Ist das klar?«
Sie spazierten durch den Matsch zurück in ihr „rotes Zimmer“ und hatten den besten Sex ihres Lebens.
Fortsetzung folgt
Abbildung: annacapictures auf Pixabay