BvsN-25

Fortsetzung von Blog Nr. 263.

25. Februar, Samstag, 11.30 Uhr.

Für Joseph Grosskollinger war es ausgemachte Sache, dass er mit jeder seiner Geliebten einmal zum tosenden Rheinfall fuhr. Das turnte ihre Libido an, wie er sich einbildete. Er buchte immer schon Wochen voraus die Suite im „Les Mignardises“ in Laufen-Uhwiesen. 280 Euro die Nacht war zwar kein Schnäppchen, aber für willige Mädels tat er das gern. Seit gestern Abend waren sie hier, die erste Nacht war schon mal ganz nett gewesen. Seiner Frau hatte er den kleinen Ausflug wie immer als Geschäftsreise verkauft, inkl. fröhlichem Kollegentreffen.

Diesmal also mit Gudrun — der süßen Gudrun aus der Abteilung Hypotheken. Er stand mit ihr auf der Aussichtsplattform, ein eisiger Wind wehte, aber das war gut so. Denn deswegen schmiegte sie sich an ihn und er konnte ihr an den Po fassen. Sie und sich selbst ein wenig anturnen, bevor sie nachmittags wieder aufs Zimmer gingen. Der Rheinfall war noch nie ein Reinfall gewesen.

»Das ist ja so toll hier, Joseph! Aber auch saukalt. Komm, lass uns wo reingehen. Mir wird schwindelig, wenn ich da runterschaue. Wenn man sich das vorstellt, da reinzufallen. Oh Gott!«

»Ja, Süße, schwimmen würde da nicht mehr helfen. Die Strudel lassen einen nicht mehr los. Und im Wasser ist es noch viiiel kälter als hier oben.«

Sie drückte seine große gepflegte Hand. »Komm, gehen wir.«

»Klar, alles was du willst, Süße.« Joseph hatte es gern, den Kavalier zu spielen, bei furchtsamen Mädels.

Er drehte sich um, wollte mit Gudrun den Steg zum Ausgang nehmen, da sah er aus dem Augenwinkel SIE. Sie stand auf der gegenüberliegenden Seite auf der Plattform, ihre langen brünetten Haare wehten im Wind. Die Raubinger! Nicht zu fassen! Scheinbar war sie mit einem Kerl hier, denn sie hielt die Hand von so einem schmalen Durchschnittstypen. Die sexy Raubinger! Dass sie aus Zürich weggezogen war, vor einem halben Jahr, das hatte ihm Kollege Moss gesteckt. So ein Zufall, dass sie sich hier herumtrieb. Er war neugierig. Sie hatte ihn damals immer wieder abblitzen lassen, dieses Luder. Wie gern wäre er mit IHR auch zum Rheinfall gefahren, denn sie war heiß. Wirklich heiß. Aber es konnte ja nicht immer klappen, mit den Weibern. Leider.

Die Raubinger hatte ihn damals so provozierend ignoriert, dass er ein wenig Druck gemacht hatte. Er hatte ihren E-Mail-Schreibstil beanstandet und noch ein paar andere Tricks angewandt, um ihre Kompetenz ins Wackeln zu bringen. Er hatte an ihrem zarten Nervenkostüm gekratzt. Wenn ER keinen Spaß haben konnte mit ihr privat, dann sollte sie auch keinen Spaß mehr haben, in SEINER Abteilung. Sie hatte dann auch irgendwann gekündigt. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Leider nicht ganz. Da stand sie nun. Diese wehenden langen Haare und die Jeans! Das machte ihn an. Gudrun war schon okay, aber die Raubinger, Mann! Er spürte seinen Unterleib.

»Süße, ich habe gerade dort drüben einen alten Bankkunden entdeckt. Wichtiger Mann. Ich möchte es auf keinen Fall versäumen, ihm Hallo zu sagen. Kannst du bitte schon mal vorausgehen? Es dauert nur fünf Minuten. Siehst du da vorne am Steg die Nische? Dort wartest du bitte auf mich.«

»Okay, Joseph, aber bitte mach’ schnell. Es ist soo kalt hier.«

»Klar, ich beeile mich. Bis gleich.«

Er spazierte lässig hinüber, wo die Raubinger mit ihrem Kerl stand.

»Ja ist es denn zu fassen? Mademoiselle Raubinger! Sie sehen mich entzückt.« Joseph grinste breit und hielt ihr seine Hand hin.

Sie nahm sie nicht, sondern ging einen Schritt zurück, bis ans Geländer.

»Was für ein Zufall, nicht? Ich liebe diese Aussichtsplattform und gerade habe ich eine ganz besonders schöne Aussicht! Aber entschuldigen Sie bitte, Sie sind ja in Begleitung.« Joseph sah ihrem Freund ins Gesicht. Ein komischer Typ, wie ihm schien.

»Wissen Sie, Frau Raubinger war mal meine beste Mitarbeiterin in der Kantonal. Eine echte Perle. Wirklich schade, dass sie ihre Stelle aufgegeben hat. Ich konnte sie nie mehr so richtig ersetzen.«

»Komm, Gerald, lass uns bitte gehen.« Sie nahm die Hand ihres Kerls und wandte sich zum Ausgang. Er schien folgsam wie ein Hündchen.

»So eilig, Frau Raubinger? Na dann will ich Sie nicht länger aufhalten. War mir ein Genuss, vielleicht sieht man sich mal wieder.«

Die Raubinger drehte sich zu Joseph um. »Das hoffe ich nicht.« Dann spazierte sie mit ihrem Freund zügig in Richtung Rheinfallweg. Die beiden liefen direkt an Gudrun vorbei. Raubingers Freund drehte sich auch noch mal nach ihm um. Wie hatte es dieser Gerald nur geschafft, den heißen Feger abzuschleppen? Gottes Wege waren unergründlich. Joseph spazierte hinüber zu Gudrun.

»Na meine Süße, das hat aber jetzt nicht zu lange gedauert, gell?«

»Danke, Joseph, könnten wir jetzt vielleicht in ein Restaurant gehen? Mir ist kalt und ich bin hungrig.«

»Klar. Aber wie wäre es denn, wenn wir gleich in unsere Suite fahren? Damit ich dich dort so richtig verwöhnen kann. Essen bestellen wir uns aufs Zimmer.«

Joseph nahm ihr kaltes Händchen und da er sowieso nicht mit Widerspruch rechnete, ging er mit ihr in Richtung Parkplatz. Dabei dachte er an die Raubinger und ihre Figur in der engen Jeans.

Gerald merkte, dass es Babs schlecht ging.

»Dieser verdammte Dreckskerl. Er hat mir den Aufenthalt mit dir auf der Plattform voll versaut.«

»Das war dein ehemaliger Chef bei der Bank in Zürich, richtig?«

»Grosskollinger. Oder besser gesagt: Großkotzinger. Ich hatte dir ja erzählt, wie er mir das Leben schwer gemacht hat, damals.«

»Ich hätte ihn den Rheinfall runterwerfen sollen, Babs. Aber es waren zuviele Leute da.«

»Ja, das würde passen, Gerald. Aber ich hoffe, ich sehe dieses Arschloch nie wieder. NIE WIEDER. Der war schuld daran, dass ich aus Zürich weg bin. Und nun eine kleine Bedienung in einem Café bin.«

»Du bist keine kleine Bedienung, Babs! Es ist alles richtig so. Ohne ein Esoteriker zu sein, glaube ich, es gibt eine Art Vorbestimmung. Das Schicksal hat uns deshalb auch in Meersburg zusammengeführt.«

»Das klingt ja schön, Gerald. Aber ich glaube eigentlich nur an den Zufall. Auf den Zufall ist irgendwie immer Verlass. Und ich hoffe, auch auf dich.« Sie sah ihm unsicher in die Augen.

»Ach, Babs! Komm, vergessen wir Großkotzinger ganz schnell. Gehen wir wohin, wo es warm ist. Wichtig sind nur wir beide, Liebes.«

Am Parkplatz Rheinfall in der Nohlstraße standen der schwarze Porsche von Barbara Raubinger und der silberne Mercedes EQS von Joseph Grosskollinger — ungefähr zwanzig Meter voneinander entfernt. Wie es der Zufall wollte, sah Joseph die beiden Turteltäubchen einsteigen, während Gudrun an ihrem Handy herumfummelte. Joseph dachte sich, schau einer an, die Raubinger hat ihren Porsche noch, den hatte sie damals doch von Moss abgekauft. Er beschloss herauszufinden, in welchem Hotel die beiden abgestiegen waren, indem er ihnen vorsichtig nachfuhr.

»Joseph, wo fährst du denn hin? Wir sind aus einer ganz anderen Richtung gekommen!«

»Das weiß ich doch, Süße! Aber ich suche noch nach einem speziellen Laden, ich glaube, der war in Schaffhausen. Die haben da sehr besonderen Schmuck und vielleicht finden wir ja was Hübsches für dich. Macht es dir was aus, wenn ich versuche, ihn zu finden?«

»Ja, super! Ich bin gespannt. Stört es dich, wenn ich derweil mit einer Freundin whatsappe?«

»Aber nein, mach das ruhig, ich konzentriere mich derweil darauf, den Laden zu suchen.«

Joseph folgte dem Porsche über die Rheinbrücke bis in die Altstadt. In der Maurergasse fuhr die Raubinger ihren tollen Schlitten in die Tiefgarage, gleich neben einer billigen Absteige namens ZUK. Naja, die beiden mussten wohl sparsam sein, Raubingers Freund hatte auf ihn nicht gerade einen besonders betuchten Eindruck gemacht. Um Gudrun nicht misstrauisch zu machen, suchte Joseph nun irgendeinen Schmuckladen. Sie sollte ihr Liebeskettchen bekommen, klar!

Babs war noch so verwirrt wegen dem Vorfall beim Rheinfall, dass sie nicht mitbekommen hatte, wie ihr über vier Kilometer ein ganz bestimmter Mercedes gefolgt war. Gerald hatte auch nichts bemerkt. Sie freuten sich nach dem eiskalten Wind beim Rheinfall auf eine heiße Dusche im ZUK und auf einen gemütlichen Samstagnachmittag.

Um 18 Uhr beschlossen sie, ein Restaurant aufzusuchen. Sie hatte den Italiener „Santa Lucia“ in der Schwerterstraße ausgesucht, Gerald den Tisch reserviert. Pizza oder Pasta, das war jedenfalls eine nette Abwechslung zum Käsefondue vom vorigen Abend.

Die Dame an der Rezeption hielt sie auf. „Frau Raubinger, da ist etwas für sie angekommen.« Sie gab Babs einen einzelne rote Rose, an welcher ein Umschlag hing. »Das wurde vor fünf Minuten von einem Taxifahrer abgegeben.«

»Was? Für mich? Das wird sicher eine Verwechslung sein.«

»Da steht aber „Für Barbara Raubinger“ auf dem Umschlag.«

Babs nahm die Rose, öffnete das Kuvert und las den Zettel. »Dieses widerliche Schwein!« Sie zerknüllte das Papier und warf es auf den Boden. Ihr Gesicht war entsetzt und wütend zugleich.

Gerald bückte sich und hob den zerknüllten Zettel auf.

»Gerald, bitte nicht.«

Aber da hatte er den in lockerer Handschrift verfassten Text bereits gelesen. „Wenn du es mal von einem RICHTIGEN Kerl besorgt haben willst. Du weißt, wo du mich findest. J.G.“

Gerald drehte den Zettel um, auf der Rückseite stand ganz klein unten die Adresse eines Hotels mit dem Namen „Les Mignardises“. Er steckte den Zettel ein.

»Warum macht der das, ich habe ihm nie etwas getan.« Babs schien den Tränen nahe. Gerade stürzte längst Vergangenes wieder auf sie ein, der Druck und der Stress, dem sie in der Kantonal monatelang ausgesetzt war.

Gerald nahm sie in den Arm. Was konnte er in dieser Situation zu ihr sagen? Vielleicht besser erstmal nichts. Sie gingen langsam aus dem Hotel, draußen war es schon dunkel, die Laternen warfen gelbes Licht auf den restlichen Schnee, der noch am Straßenrand klebte.

»Wir lassen uns jetzt die Pizza schmecken, meine Liebste.«

Fortsetzung folgt

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Abbildung: petra auf Pixabay