Fortsetzung von Blog Nr. 270
27. Februar, Montag, 15.30 Uhr.
»Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Besucher-Innen unseres großartigen Sauriermuseums in Frick! Ich freue mich, dass Sie heute so zahlreich erschienen sind. Ja, wir haben einen Grund zum Feiern. Denn vor einem Jahr gab es in unserem Jurapark einen sensationellen Fund. Nämlich wurden außergewöhnlich gut erhaltene Knochen eines Velociraptoren in der Nähe der Burgruine Alt-Tierstein gefunden. Wie Sie alle wissen, haben wir hier im Museum eine fantastische Sammlung von Fossilien, aber DIESER Fund stellt einen Meilenstein dar in der über dreißigjährigen Geschichte unseres Hauses. Ein Jahr hat die Restaurierung gedauert — heute habe ich die große Ehre und das Vergnügen, Ihnen unseren Neuzugang zu präsentiereren: den Frick-Velociraptor, einen Dinosaurier aus der Theropoden-Familie der Dromaeosauridae. Vor etwa 80 Millionen Jahren hat er hier in der Gegend gelebt und wenn es damals schon Menschen gegeben hätte, hätte er jenen das Leben schwer gemacht. Nun ist er nur noch halb so gefährlich, deshalb können Sie ihn, meine lieben Besucher-Innen, gerne von ganz nahe betrachten. Nur nicht berühren, das mag er gar nicht.«
Die Museumsleiterin Katharina Oettinghausen übergab einem siebenjährigen blonden Mädchen mit Pferdeschwanz eine Schere. Damit durfte das Kind ein rotes Seidenband zerschneiden, welches um das Skelett des Sauriers gespannt worden war. Die über fünfzig Besucher applaudierten, eine begeisterte Dame rief: „Super, Beate!“. Sie meinte damit vermutlich ihre kleine Tochter, welche sich sichtlich stolz vor dem 70 cm hohen und zwei Meter langen Skelett präsentierte.
Ein zweiköpfiges Kamerateam vom Schweizer Privatsender Joyiz-TV filmte die Festivität, für einen Kurzbericht in der Sendung „Kulturplatz ’23“. Zwei freundliche Damen servierten Sekt, Orangensaft und buntes Fingerfood, auf welchem Papierfähnchen mit dem Saurier-Emblem des Museums steckten.
Gerald und Babs waren nach ihrer zweistündigen E-Bike-Tour zur Burgruine Tierstein zufällig an dem Sauriermuseum Frick vorbeigekommen, hatten den Rummel um die Ausstellungseröffnung gesehen und waren hineingegangen, um dem Dino-Neuzugang die Ehre zu erweisen.
»Ist ja witzig, Gerald. Von wegen, hier in Frick sei nix los! Große Dinosaurier-Action! Toll!«
»Siehst du, Babs, du hattest sogar recht heute Mittag, mit der Bemerkung zum Velociraptor. Dort, wo wir waren, hat es tatsächlich welche gegeben! Sogar das Fernsehen ist da. Sehr lustig.«
»Die filmen auch das Publikum, komm, wir gehen.«
»Warte, noch ein Gläschen Sekt gefällig, nach unserer erfolgreichen E-Bike-Tour?« Sie stießen an und bewunderten anschließend noch die anderen nicht mehr ganz so spektakulären Ausstellungsstücke: Versteinerungen von Ammoniten, Nautiliten und anderem urzeitlichen Getier.
»Unsere stoppelbärtigen Wandersburschen Anton und Hans sehe ich hier nicht, die sind wahrscheinlich noch unterwegs. Denen würde die Saurier-Gaudi sicher auch gefallen.«
»Dem Hans hast vor allem du heute Mittag gefallen, meine Liebe.«
»Ach was, der ist doch weit über siebzig. Ich könnte seine Tochter sein.«
»Das ist völlig altersunabhängig, liebste Babs. Das männliche Hirn schreit immer nach Sex, auch wenn der Körper schon total marode ist.«
»Soso, Gerald. Gut, dass DEIN Körper noch nicht marode ist. Komm jetzt, wir gehen. Ich habe genug Fossilien und alte Knochen gesehen.«
Vor ihrer Rückkehr ins Hotel spazierten Gerald und Babs um 17.30 Uhr erneut zu Wernli Sport, denn sie wollten die Fahrräder auch für die beiden nächsten Tage mieten, für weitere Ausflüge ins hiesige Umland. Babs hatte das angeregt, sie war nun begeisterte E-Bikerin geworden.
Kommissarin Brigitta Kuroczyk, Polizeipräsidium München, hatte dagegen ganz andere Ambitionen: Sie musste als erstes diesem Kommissar Bronzo auf die Spur kommen, der ihr wortkarg und schamlos Lügen auftischte, über seinen angeblichen Aufenthalt im Bayerischen Wald. Am Mittwoch, den ersten März, rief sie um 9.00 Uhr bei der Polizei in Meersburg an.
»Überberger, Polizeiposten Meersburg.«
»Polizeipräsidium München. Kommissarin Kuroczyk, Brigitta. Guten Tag. Nie jesteśmy jeszcze za wzgórzem. Ich nehme an, Sie sind des Polnischen nicht mächtig, darum übersetze ich: Wir sind noch nicht über den Berg, Herr Überberger. Ich beziehe das auf einen aktuellen komplizierten Mord- und Vermisstenfall: Darin verwickelt sind ein Herr Gerald Neumann, dieser hat sich in krimineller Weise hervorgetan und ist seit dreizehn Tagen flüchtig, vermutlich hält er sich in Baden-Württemberg auf. Ebenfalls involviert in diesen Fall ist der Münchner Kommissar Dietmar Bronzo, der ohne Auftrag eigenständig nach Neumann fahndet. Ich vermute, Bronzo befindet sich deshalb in oder im Umkreis von Meersburg. To skomplikowana sprawa.«
»Guten Tag, Frau Kuroczyk. Ich verstehe sogar ein wenig Polnisch, denn meine Schwester ist vor fünf Jahren nach Katowice gezogen. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Piękne Katowice! Herr Überberger, ich bin auf jeden Hinweis angewiesen und sei er nur winzig und womöglich unbedeutend. Nieistotny. Kann aber durchaus bedeutend werden, Sie verstehen, was ich meine. Bitte berichten Sie mir, ist in Meersburg in letzter Zeit etwas von ungewöhnlicher Art vorgefallen?«
»Das ist es, Frau Kommissarin, das ist es tatsächlich! Dokładnie!«
Herr Überberger informierte Brigitta über einen Vorfall in der Meersburg Therme und über die Aussagen von zwei Badegästen, die einen Mordversuch im Dampfbad aus nächster Nähe beobachtet haben wollten. Außerdem bot Überberger an, Brigitta die Filmaufnahmen der Überwachungskameras zur Verfügung zu stellen, auf welcher der mutmaßliche Täter bei seiner Flucht aus der Therme gefilmt worden war.
»Fantastyczny! Bardzo dobrze! Herr Überberger, Sie haben mir sehr geholfen. Ich melde mich wieder, wenn ich mehr wissen muss, aber vermutlich komme ich selbst nach Meersburg angereist. Einen herzlichen Gruß an Ihre Schwester in Katowice!«
Schon nach 20 Minuten erhielt Brigitta den Film aus der Therme — welcher für sie wesentlich interessanter war als „John Wick 3“, den sie kürzlich erst im TV gesehen hatte. Keanu Reeves: zu dünn für sie.
Während sich Kommissarin Kuroczyk im Polizeipräsidium München einen kurzen Actionfilm aus Baden-Württemberg zu Gemüte führte, saß einer der beiden Hauptdarsteller mal wieder im Café Mohler. Die geschwätzige Chefin hatte sich mit ihm angefreundet. »Na, geht es Ihrer Nase schon besser? Ich sehe, Sie haben einen neuen Verband, diesmal ohne Blut.«
»Jaja, das wird schon, die Nase heilt. Muss ja heilen, ist alles nur eine Frage der Zeit. Aber sagen Sie mal, Frau Mohler, ihre Mitarbeiterin, die Frau Raubinger, ist ja wohl immer noch krank?«
»Ja, stellen Sie sich vor, gestern hat sie angerufen, ihre Oma in der Schweiz sei plötzlich unerwartet verstorben und sie müsse da jetzt dringend hinfahren, um sich um den Opa zu kümmern und natürlich auch um die Beerdigung. Die Dame wird wohl so schnell nicht wiederkommen zu uns. Schade, aber da kann man nix machen.«
»Ah, dann ist die junge Dame nun also in der Schweiz! Na, dann hoffen wir mal, dass sie bald wieder zurück ist. Bitte bringen Sie mir noch einen Kaffee und ein Stück Apfelkuchen.«
Bronzo wusste damit noch längst nicht, wohin Neumann mit seiner Freundin tatsächlich unterwegs war. Die erste Möglichkeit war natürlich, dass die beiden gar nicht zusammen reisten, sondern dass sich Neumann alleine irgendwohin verdünnisiert hatte. Die zweite Option: Sie waren zwar zusammen, aber nicht unbedingt in die Schweiz gefahren — die Raubinger hatte bei den Angaben ihrer Chefin gegenüber mit großer Wahrscheinlichkeit gelogen. Von wegen tote Oma. „Tote Oma“, so hieß lustigerweise ein deftiges Blutwurstgericht in Saarburg in der Rheinland-Pfalz, dort war er mal mit Silke im Urlaub gewesen. Sogar in dieser Gegend könnten sich der „Blutwurstspezialist“ Neumann und die hübsche Raubinger gerade aufhalten. Es war zum Haareraufen. Ohne die Unterstützung eines gut funktionierenden Polizeiapparates war es fast unmöglich, den beiden auf die Spur zu kommen. Bisher waren seine Aktivitäten alles andere als erfolgreich gewesen. Vielleicht sollte er einfach heimfahren und die Sache auf sich beruhen lassen. Das tun, was ihm Leitinger befohlen hatte: eben nichts. Aber das befriedigte ihn überhaupt nicht. Er war eben ein Bluthund, der eine Mission hatte.
Fortsetzung folgt
Abbildung: William McDonald auf pixabay