Fortsetzung von Blog Nr. 272
2. März, Donnerstag, 11.30 Uhr.
Gerald und Babs hatten die beiden letzten Tage noch längere E-Bike-Touren unternommen, einmal waren sie sogar in nördlicher Richtung fast bis nach Bad Säckingen geradelt, das waren insgesamt über 60 Kilometer gewesen. Gerald spürte seinen Hintern. Das Wetter hatte gehalten, Gott sei Dank kein Regen, nur gestern sehr kalter Frühjahrswind. Nach zwei Übernachtungen im Hotel Müllerhof wollten sie es aber nun gut sein lassen mit ihrem Aufenthalt in Frick und weiterziehen, in südwestlicher Richtung.
»Hast du schon eine Idee, wo wir als nächstes Station machen könnten, Gerald? Also, das E-Biken hat mir echt Spaß gemacht. In einem normalen Leben würde ich mir jetzt eines kaufen.«
»Ja, Babs, in einem normalen Leben. Es hat zwar was, als Desperado unterwegs zu sein, mit seiner Braut, aber ein normales Leben mit dir würde ich dann doch vorziehen.«
»Soso, ich bin jetzt also die Braut eines Desperados, toll!«
»Du bist mein Sonnenschein.« Er küsste sie.
»Wir könnten meine Oma besuchen. Die hat ein geräumiges Haus in der Nähe von Luzern. Traumhafte Lage! Sie wohnt dort ganz alleine und würde sich wahnsinnig freuen, ich habe sie schon fast ein Jahr nicht mehr gesehen.«
»Luzern. Da gibt es doch auch einen großen See.«
»Ja, natürlich, den Vierwaldstättersee! Und wir könnten bei meiner Oma umsonst wohnen. Auch erholsam für unsere Geldbeutel.«
»Google Maps sagt mir, das sind ungefähr 70 Kilometer. Autobahnen und Mautstraßen vermeiden, habe ich eingegeben. Das sollten wir auf jeden Fall, zur Sicherheit.«
»Dann machen wir das. Spitze! Ich freue mich auf meine Oma. Ich werde sie gleich mal anrufen.«
»Gut, dann fahre ich. Sehe gerade, die Benzinanzeige ist schon ziemlich weit runter. Nicht weit von hier gibt es eine Tankstelle „Tamoil“. Ich fahre dann dort mal schnell hin, okay?«
Aber Babs war schon damit beschäftigt, mit ihrer Oma zu sprechen. Diese schien sich tatsächlich sehr zu freuen und kündigte an, sie würde für Babs und ihn was Gutes kochen. So wie Omas halt sind.
Nach ein paar Minuten kamen sie an der Tankstelle an. Es gab zwei Reihen von Zapfstationen, Gerald hielt links neben der linken Station. Ein paar Meter weiter rechts, vor der anderen Zapfsäule, stand ein silbergrauer Dacia Duster, näher dem Ladeneingang. Gerald stieg aus und tankte den Porsche voll. Als er hinübergehen wollte, um in dem Laden zu bezahlen, stoppte er blitzartig und duckte sich hinter seine Zapfsäule. Aus dem Laden war nämlich gerade ein großer fetter Kerl mit einem Verband um die Nase heraus gekommen. Bronzo! Was machte dieses Schwein hier? Erst Markdorf, dann Meersburg, jetzt Frick — der Typ schien Hellseher zu sein. Bronzo trug in der einen Hand einen Kaffeebecher, in der anderen hatte er zwei Schokoriegel. Er ging zu dem Dacia und stand einen Meter vor seiner Fahrertür, um den Kaffee noch im Freien zu trinken. Er schaute zum Laden hinüber.
Gerald lief sehr schnell auf die gegenüberliegende Seite seiner Zapfstation, packte einen Zapfhahn, zog den Schlauch heraus so weit es ging und schritt auf Bronzo zu. Dieser sah Gerald nicht, nahm gerade einen Schluck Kaffee, da bekam er eine volle Ladung Benzin Super ins Gesicht. Der Kommissar machte einen gurgelnden Laut, ließ den Becher und die Schokoriegel fallen. Er wollte sich wegdrehen, Gerald hielt voll auf ihn drauf. Bronzo taumelte und brach klatschnass vor dem Dacia zusammen. Die Hände hielt er sich schützend vors Gesicht. Gerald gab ihm noch ein paar Liter Benzin und sagte: »Jetzt, wenn ich Feuer hätte, du verdammtes Arschloch!«
Dann ließ er den Zapfhahn fallen, drehte sich um und lief schnell zurück zum Porsche. Er stieg ein, startete und gab so stark Gas, dass der Motor laut röhrte. Mit quietschenden Reifen fuhr der Wagen los.
»Gerald! Was ist denn los! Du fährst ja, als wäre der Teufel hinter dir her!« Sein Gesicht war starr, beide Hände umklammerten das Lenkrad.
Babs hatte von alldem nichts mitbekommen, zum großen Glück für ihn. Sie war mit ihrem Handy beschäftigt gewesen, hatte kaum Sicht auf den Wagen von Bronzo gehabt. Außerdem war die Aktion blitzschnell und auch völlig lautlos gewesen.
»Das ist er Babs, das ist er! Ich erkläre es dir gleich, jetzt erstmal so schnell raus aus dem Ort, wie es geht. Bitte stelle auf deinem Handy Google Maps ein, Richtung Luzern. Aber wir dürfen keine Autobahnen und Mautstationen nehmen! Man wird uns sonst bald haben.«
»Alles klar, Gerald. Aber fahr langsamer, sonst hat man uns gleich.«
Brigitta kam von der Damentoilette, spazierte aus dem Laden. Sofort sah sie Bronzo vor der Fahrertüre des Dacia am Boden lehnen. Sein Gesicht glänzte, Haare und Oberkörper waren klatschnass, er hustete sich die Seele aus dem Leib. Als Brigitta näher kam, roch sie das Benzin.
»Bronzo, um Gottes willen! Was ist passiert! Mój Boże! Co się stało?«
Der Kommissar konnte nicht reden, nur husten und grunzen. Er wirkte, als würde er gleich an seinem Husten ersticken. Brigitta lief in den Laden zurück. »Rufen Sie einen Sanitäter, sofort! Einen Krankenwagen! Schnell! Szybko! Natychmiast!«
Bronzo richtete sich langsam auf, ihm war so elend zumute, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er hatte ordentlich Benzin gesoffen. Brigitta gab ihm ein Glas Wasser, das empfahl Google in so einem Fall. Nach einer gefühlten Ewigkeit war der Krankenwagen da.
»Mein Kollege wurde mit Benzin übergossen! Bestimmt hat er auch was davon geschluckt! Proszę, pomóż mu!«
Bronzo wurde auf eine Trage gehoben, in den Wagen geschoben und sofort ins Gesundheitszentrum Fricktal, Spital Laufenburg gebracht. Brigitta zeigte dem Tankstellenbesitzer ihren Polizeiausweis und wies ihn an, ihr so schnell wie möglich die Aufnahme der Überwachungskameras zu schicken, als mp4-Datei auf ihr Smartphone. Der Tankwart meinte, dass der Flüchtige auch das Benzin nicht bezahlt habe.
Sie fuhr ihn giftig an. »Ist das jetzt wichtig? To nie jest teraz ważne?«
Brigitta wusste inzwischen natürlich, wer für die Tat verantwortlich war. Bronzo hatte wenig sagen können, nur keuchen. Aber dieses eine Wort NEUMANN hatte sie ganz klar verstanden. Es war auch vollkommen logisch: Neumann, wer denn sonst! Idealnie logiczne! Und Brigitta wusste jetzt noch etwas: Dieser Neumann war brandgefährlich.
Gerald und Babs waren inzwischen 30 Kilometer weiter — westlich von Zürich. Gerald hatte Babs von Bronzo erzählt, aber nicht, was er mit ihm gemacht hatte. Sie hatte es Gott sei Dank auch nicht gesehen. Er wollte nicht, dass sie ihn für einen Typen hielt, der seine Aggressionen nicht im Griff hatte. Aber ihn ihm hatte sich einiges aufgestaut. Und davon hatte er nur einen Teil an Großkollinger herauslassen können. Er hasste Bronzo wie die Pest. Niemals in seinem Leben hatte er ein solches Hassgefühl gehabt wie auf diesen Menschen. Bronzo war wie ein riesiger Dorn in seinem Fleisch, der sich nicht herausziehen lassen wollte. Er steckte tief und der damit verbundene Schmerz rumorte in ihm. Aber mit dem Benzin war der Dorn herausgerutscht. Endlich. Der Kommissar würde wahrscheinlich nicht verrecken an der Benzindusche. Aber er war zumindest vorübergehend aus dem Verkehr gezogen. Beunruhigend war allerdings, dass die Kameras an der Tankstelle vermutlich alles aufgezeichnet hatten. Das hatten sie ganz sicher sogar. Verfluchtes Pech.
»Gerald, ich kann mir nur eines vorstellen: dass uns die Filmaufnahmen im Sauriermuseum verraten haben. Wahrscheinlich brachte man einen Bericht darüber im Fernsehen und wie es der Teufel wollte, hat dieser Kommissar den Bericht gesehen. Was für ein irrsinniger Zufall. Wieso läuft ein Schweizer Privatsender in Meersburg? Das gibt es doch nicht!«
»Ja, Babs. Der liebe Zufall. Er hat uns zusammengeführt und nun will er uns wieder auseinanderbringen. Da gibt es jemanden, der an solchen Spielchen Spaß zu haben scheint.«
»Ich habe Angst, Gerald. Der Kommissar hat dich doch gesehen, oder nicht? Wenn nicht, alles gut. Wenn aber doch, wird er sich die Kameraaufzeichnungen von der Tankstelle ansehen. Dann weiß er, mit was für einem Auto wir unterwegs sind.«
»Ja, Babs. Er hat mich gesehen. Nur kurz. Aber er hat mich gesehen.«
»Wir fahren trotzdem zu meiner Oma. Dort sind wir erstmal sicher. Auf Dauer könnte man uns vielleicht aufspüren. Der Kommissar hat vielleicht herausbekommen, dass ich mit dir unterwegs bin. Er wird zusammen mit der Schweizer Polizei recherchieren und dann werden sie auch auf meine Oma kommen.«
»Es ist wahrscheinlich nicht vernünftig, dort hinzufahren, Babs.«
»Aber sie hat sich so gefreut, dass wir kommen. Wir müssen ja nicht lange bleiben, nur eine oder zwei Übernachtungen.«
»Wir fahren zu deiner Oma, auf jeden Fall. Ich will sie kennenlernen. Als nächstes wird uns der Zufall wieder Glück bringen, nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit.« Gerald lächelte, aber es war kein optimistisches Lächeln.
»Immerhin konntest du den Wagen volltanken. Das ist doch schon mal was.«
»Aber ich habe das Benzin nicht bezahlt, Babs. Als ich Bronzo sah, bin ich sofort zurück ans Steuer.«
»Das war auch genau richtig, so, mein Lieber. Wer klaut, der spart. Wer hat das nochmal gesagt?«
»Hotzenplotz? Cartouche? Oder Mephisto? Keine Ahnung, wer das gesagt hat. Aber der Spruch passt jedenfalls zu uns, Bonnie.«
»Irgendwann werden wir auf unserer Flucht in Panama landen, mein Lieber.«
»Oh, wie schön ist …«
Fortsetzung folgt
Abbildung: Bernd Schray auf pixabay