Fortsetzung von Blog Nr. 274
2. März, Donnerstag, 18.00 Uhr.
Die Ärzte hatten Bronzo mitgeteilt, dass er fast gestorben wäre. Ein paar Schlucke mehr von dem Benzin und es wäre aus gewesen. Momentan hatte er extreme Kopfschmerzen, starke Schwindelgefühle und seine Zunge fühlte sich an wie ein Stück altes rauhes Leder. Kein Geschmacksempfinden, in seinen Händen hatte er kaum Kraft. Außerdem hatte man ihm gesagt, er müsse mit Nachfolgeschäden an Niere und Leber rechnen, das würde nie mehr richtig gut werden. Alkohol könnte er ab sofort vergessen, das Rauchen hatte er sowieso schon vor fünf Jahren aufgegeben, auf Drängen von Silke.
Er lag im Krankenbett und gab sich düsteren Gedanken hin. Mit Neumann war es komplett aus dem Ruder gelaufen. Seit Meersburg herrschte in dieser Sache der pure Zufall, verbunden mit unprofessioneller Emotionalität. Erst die absurde Begegnung in dem Klamottenladen, dann der völlig verrückte Mordversuch im Dampfbad und nun die harte Retourkutsche an der Tankstelle. Bronzo konnte Neumann ehrlich gesagt nicht mal einen Vorwurf machen, dass er ihm eine Benzindusche verpasst hatte. Der hatte offensichtlich einfach rot gesehen — umso mehr er sich in Frick sicher gefühlt haben musste.
Nach so vielen Dienstjahren hatte sich Bronzo mit Mitte fünfzig von einem sachlich und klug vorgehenden Beamten in einen Trottel verwandelt, der darüber hinaus auch noch zum Sexualobjekt einer schrägen polnischen Polizistin verkommen war. Bloß gut, dass Silke von all dem nichts wusste. Er wollte auch keinesfalls, dass sie von diesem Tankstellendesaster erfuhr. Was sich aber wohl nicht vermeiden lassen würde.
In Kriminalfilmen war es oft so, dass verletzte Polizisten aus der Klinik flüchteten, um stur weiter zu ermitteln. Bronzo hatte keinerlei Bock, das Krankenhaus zu verlassen. Er konnte in seinem jetzigen Zustand froh sein, wenn er aufs Klo gehen konnte, ohne dass er auf den Linoleumboden knallte und sich die Nase nochmal brach. Wäre er doch nur in München geblieben, bei seiner Silke. Er versuchte zu schlafen, aber sein Hirn fuhr Achterbahn, wie nach einer durchzechten Nacht mit zuviel Wodka. Wodka! Wenn er nur daran dachte, würgte es ihn schon. Wodka war wie Benzin.
Brigitta hatte das Spital verlassen. Sie hätte liebend gerne mit Bronzo die Verfolgung von Neumann aufgenommen, aber mit dem Kommissar war für geraume Zeit nicht mehr zu rechnen. Der sah jetzt nicht nur aus wie das große Elend — es ging ihm sicher auch so. Benzin getrunken! Co za katastrofa! Wäre sie nicht auf der Tankstellentoilette gewesen, wäre das nicht passiert. So ein verdammtes Pech! Taki cholerny pech!
Sie hatte sich die Kameraaufzeichnungen wieder und wieder angesehen. Man konnte erkennen, dass auf dem Beifahrersitz von Neumanns Auto eine Frau gesessen hatte. Wahrscheinlich Barbara Raubinger. Dafür sprach auch, dass der Wagen ein schwarzer Porsche Macan war. Die Kennzeichen waren lesbar — der Wagen war auf die Raubinger zugelassen. Przynajmniej to! Die Schweizer Polizei hatte Brigitta informiert, die Suche nach dem Porsche war bereits voll im Gange. Angeblich. Nur auf sich selbst ist Verlass. Możesz polegać tylko na sobie.
Sie saß in einem Café in Laufenburg, mit Blick auf den Rhein. Ein ansprechender Ort, aber dafür hatte sie momentan keinen Sinn. Sie vertraute nicht darauf, dass das Gangsterpaar von den Schweizer Kollegen aufgespürt werden würde. Brigitta musste selbst aktiv werden. Die Raubinger hatte keine Eltern mehr, aber eine Großmutter in Luzern. Babcia. Das hatten Ermittlungen der Schweizer Polizei ergeben. Ob Neumann so unvorsichtig sein würde, dorthin zu fahren? Sie würde es herausfinden. Es war ihre einzige Option, nach Luzern zu fahren. Das war nicht weit weg — morgen würde sich Brigitta dort umsehen.
Freitagmorgen, der 3. März. Marianne Raubinger hatte zuviele Kriminalromane gelesen, um sich keinen Plan zurechtlegen zu können, wie man sich in dieser Sache verhalten musste. Gerald war ihr nicht ganz geheuer. Zwar durchaus sympathisch, kam er Marianne trotzdem vor wie ein undurchschaubarer Typ aus einem Highsmith-Roman. Aber Babsi schien ihn wirklich zu lieben und stand zu ihm. Ihre Enkeltochter ging Marianne Raubinger über alles, daher war für sie klar, dass sie nach Kräften mithelfen würde, Babsi zu schützen.
Die beiden jungen Leute waren heute schon früh aufgebrochen. Aber nicht mehr mit dem schwarzen Porsche. Sie waren sich einig gewesen, dass dieser Wagen einfach zu gefährlich für sie war — nach dem Vorfall an der Tankstelle, wo die Kameras ihn wahrscheinlich gefilmt hatten. Marianne hatte empfohlen, den Porsche in der alten leeren Raubingergarage stehen zu lassen. Babsi und Gerald waren mit dem Taxi zum Luzerner Bahnhof gefahren. Sie würden den Zug nach Olten nehmen und sich dort dann ein Auto mieten. Damit wäre ihre Spur fürs Erste verwischt. Marianne wollte die Kosten für das Mietauto übernehmen, darauf hatte sie ausdrücklich bestanden. Sie hatte Babsi ihre Visakarte aufdrängen müssen. Das Mädel mochte ja Geld auf der Seite haben, aber Geld konnte nie genug da sein, in einer solchen Situation.
Es war traurig, dass Marianne ihre Enkelin nur einen halben Tag bei sich gehabt hatte. Aber unter diesen Umständen war klar, dass es nicht anders ging. Denn sie würde sehr bald unliebsamen Besuch bekommen, das ahnte sie. Dabei war noch einiges vorzubereiten.
Freitag, 14.30 Uhr. Brigitta klingelte bei der alten Frau Raubinger, der Großmutter der flüchtigen Barbara Raubinger.
»Guten Tag, sind Sie die neue Putzfrau? Das ist schön. Kommen Sie doch herein, es ist schmutzig bei mir. Soo schmutzig. Überall Schmutz.«
»Guten Tag, Frau Raubinger. Mein Name ist Kuroczyk. Es tut mir leid, aber ich bin von der Münchner Polizei.«
»Da, sehen Sie den Teppich im Wohnzimmer, ich habe gebröselt. Das muss gesaugt werden. Kommen Sie nur herein.«
»Frau Raubinger, ich bin nicht die Putzfrau. Ich muss herausfinden, wo sich Ihre Enkeltochter Barbara Raubinger aufhält.«
»Babsi? Aber Babsi ist doch um diese Zeit im Kindergarten! Es ist doch nichts passiert? Oh, die kleine Babsi. Sie ist so schnell. Ich komme ihr gar nicht mehr hinterher.« Die alte Dame wirkte aufgeregt.
»Frau Raubinger! Ihre Enkelin ist doch schon erwachsen. Wo ist sie?«
»Ach, das geht so schnell. Das Leben geht soo schnell vorbei. Babsi kommt bald in die Schule. Sie muss lesen lernen. Und schreiben. Und rechnen. Ja, das muss sie. Die Schule beginnt bald!«
Brigitta war fassungslos. Die alte Dame war geistig komplett verwirrt. Und sie schien alleine in diesem großen Haus zu wohnen. Es war jedenfalls kein Anzeichen von kürzlichem Besuch zu sehen. Sie musste sich genauer umschauen und spielte daher am besten tatsächlich die Putzfrau.
»Frau Raubinger, wo ist denn Ihr Staubsauger?«
»Ja, Sie müssen zuerst saugen. Und dann wischen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Kammer.« Die alte Raubinger trippelte aus dem Wohnzimmer, Brigitta folgte ihr.
»Wer kümmert sich denn um Sie, Frau Raubinger. Wohnen Sie ganz alleine hier in diesem großen Haus? Czy mieszkasz sam?«
»Jaja, Oskar ist nicht mehr da. Mein lieber Oskar. Er liegt auf dem Friedhof. Ich muss ihn wieder besuchen. Da, sehen Sie, der Staubsauger. Sie müssen ihn aber zuerst an den Strom stecken. An den Strom.«
Während Brigitta den Teppich saugte, dachte sie nach. Vielleicht hatte die alte Frau Besuch gehabt, es aber schon wieder vergessen. Dieses Haus wäre ein idealer Zufluchtsort für Neumann und seine Freundin. Obwohl die beiden vielleicht ahnten, dass die Polizei die einzige noch lebende Verwandte von Barbara Raubinger aufsuchen würde.
»Frau Raubinger, kann ich ihre Garage sehen? Da muss vielleicht auch mal wieder Ordnung gemacht werden.«
»Die Garage? Ich gehe nicht in die Garage. Das war Oskars Garage. Oskars Auto. Aber Oskar ist nicht mehr da.«
»Sie müssen nicht mitkommen, ich schaue nur mal kurz hinein.
»Jaja, kurz hinein!«
»Co za widok! Sie haben aber einen schönen Blick auf den See, Frau Raubinger. Wunderbar! Wspaniały!«
»Der See. Ja, der See. Es ist noch zu kalt zum Baden. Babsi will immer hineingehen, aber ich sage ihr immer: Babsi, es ist noch zu kalt!«
Brigitta versuchte es noch einmal: »Wo ist sie denn, die Babsi?«
Die Alte antwortete nicht, sondern drückte auf einen Knopf, seitlich vom Garagentor. Das Tor öffnete sich, darin stand der schwarze Porsche Macan!
»Wem gehört dieses Auto, Frau Raubinger?«
»Das ist Oskars Garage. Aber Oskar ist nicht mehr da.«
Die alte Dame sah Brigitta traurig und mit geistesabwesendem Blick an. Es war völlig sinnlos, mit ihr zu reden. Neumann und die junge Raubinger hatten ihren Wagen hier abgestellt und waren offensichtlich entweder mit einem anderen Auto oder einem öffentlichen Verkehrsmittel weitergezogen. Es würde nun extrem schwierig werden sie wieder aufzuspüren. Cholernie!
»Frau Raubinger, ich muss mich verabschieden. Ich muss noch bei anderen Leuten putzen und saugen.«
»Aber sie müssen noch wischen. Und die Küche! In der Küche ist es auch schmutzig.«
»Das mache ich beim nächsten Mal, Frau Raubinger. Auf Wiedersehen.«
Brigitta dachte daran, was mit einem normal funktionierenden Denkapparat im hohen Alter passieren konnte. Es war ein einziges Elend. Sie konnte nur hoffen, dass ihr ein solches Schicksal erspart bleiben würde, wenn sie alt war. Sie würde dann auch niemanden haben, der sich um sie kümmern würde. Es war schrecklich. Taka bieda! Aber sie musste sich jetzt auf den Fall konzentrieren. Die Nadel im Heuhaufen suchen. Igła w stogu siana.
Fortsetzung folgt
Abbildung: creisi auf pixabay
Jetzt dachte ich schon, die mit allen Wassern gewaschene Oma Raubinger sperrt die polnische Kriminalputzfrau in der Garage ein, hätte ich ihr zugetraut. Eine Oma als Gangsterbraut wäre auch mal originell, so als Gegenstück zu Miss Marple. Toni, gib Oma Raubinger noch eine Chance!
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