BvsN-37_kupplung

Fortsetzung von Blog Nr. 276

3. März, Freitag, 16.50 Uhr.

Geralds und Babs’ Plan war es gewesen, wegen ihrer auffälligen Kostümierung, die sie sich in Luzern in einem Second Hand-Laden zugelegt hatten, nicht als Neumann und Raubinger erkannt zu werden. Aber nach dem hässlichen Vorfall im Zug war ihre Situation nun umgedreht — sie mussten sich schleunigst zurückverwandeln. In einer öffentlichen Toilette am Bahnhof Olten sperrten sie sich in Kabinen ein und zogen sich um. Gerald war froh, keinen Transsexuellen mehr darstellen zu müssen. Erst hatte er es amüsant gefunden, aber sich damit ziemlich schnell sehr unwohl gefühlt. Babs war auch erleichtert, ihr nuttiges Outfit ablegen zu können. Für das Abschminken hatten sie sich wohlweislich die nötigen Utensilien schon in Luzern besorgt.

Der Kleinwüchsige war im Zugabteil mit Geralds Gewaltaktion konfrontiert worden. Als er deswegen in den Gang geflüchtet war und dort Babs bestürzt angesehen hatte, hatte sie ihn leise gebeten, die Sache bitte nicht der Polizei zu melden. Er schien damit einverstanden zu sein, aber man konnte nicht wirklich davon ausgehen, dass seine Sympathie und Solidarität für den Fake-Transsexuellen und dessen Freundin so weit gehen würde, dass er der Polizei nicht Bericht erstatten würde über das, was er gehört und gesehen hatte. Dass Ewald Wetterich jetzt tot im Abteil lag, konnte er allerdings unmöglich wissen, da auch er den Zug in Olten verlassen hatte, um den IC8 nach Bern zu nehmen. Es würde wohl einige Zeit dauern, bis die Polizei von Wetterichs tödlichem Herzinfarkt auf eine gewalttätige Situation schließen würde, welche sich im Zug ereignet haben musste. Schneller konnte es aber mit einer Aussage des kleinen Mannes gehen. Würde er das tun, wenn er aus der Zeitung von Wetterichs Tod erfahren würde?

»Gerald, kann ich dir eigentlich noch trauen? Was hast du mit dem Mann im Zug gemacht? Diesmal aber bitte die ganze Wahrheit, nicht so wie auf der Tankstelle — dort hast du den Kommissar tatsächlich mit Benzin übergossen?«

»An der Tankstelle konnte ich nichts anderes tun. Bronzo hätte mich sofort verhaftet, das wäre es dann gewesen. Also ergriff ich die einzige Möglichkeit, die ich in diesem Moment zur Verfügung hatte.«

»Aber warum hast du mir davon nicht erzählt?«

»Ich will nicht, dass du mich für so kaltblütig und aggressiv hältst, Babs.«

»Das scheinst du aber zu sein. Und was war mit dem Mann im Zug? Wieso ging der mit dir so bereitwillig in die Klo-Kabine?«

»Ich habe ihn mit einer Spielzeugpistole dazu gezwungen. Die ist seit Schaffhausen in meinem Rucksack. Sie war mir auch bei Grosskollinger von Nutzen.«

»SPIELZEUGPISTOLE? Du bist ja krasser drauf, als ich mir bisher vorstellen konnte. Mein Gott! Und die Leute fallen drauf rein?«

»Wenn man es überzeugend macht, schon. Und JA, du kannst mir trauen. Ich tue ALLES, um uns zu schützen.«

»Alles?«

»Bisher bin ich keine Leute angegangen, die es nicht verdient hätten. Bronzo wollte mich erwürgen, Grosskollinger kennst du selbst sehr genau, dieser Typ im Zug war ein fieser Hund, der uns an die Polizei verraten hätte. Ich habe uns aber mit meiner Aktion etwas Zeit verschafft.«

»Ich sehe das schon ein, Gerald. Aber es schockiert mich doch, wie schnell und hart du reagieren kannst. Als wärst du ein ausgebildeter Agent, so einer wie Liam Neeson in „Taken“.«

»Da fehlt es noch weit, aber danke.«

»An meinen Gefühlen zu dir hat sich nichts geändert, Gerald, aber du bist mir jetzt schon etwas unheimlich geworden, das muss ich leider zugeben.«

»Ja, das verstehe ich. Ich kann dir dazu nur sagen: Ich liebe dich und tue alles, was in meiner Macht steht, damit wir zusammenbleiben können.«

»Okay, ich auch. Ich schlage vor, wir verlassen jetzt diese Stadt so schnell wie möglich. Aber nicht mehr mit dem Zug, bloß das nicht!«

»Das sehe ich auch so Babs.« Er streichelte ihr sanft über die Wange und sie ließ es geschehen.

Samstagmorgen, 10 Uhr. Dietmar Bronzo hatte 46 Stunden im Spital Laufenburg verbracht. Nachdem die Ärzte einige Untersuchungen mit ihm angestellt und ihm Infusionen und diverse Mittelchen verabreicht hatten, erklärte man ihm am Freitagabend, dass er „über den Berg sei“ und man ihn am nächsten Morgen guten Gewissens entlassen könnte. Dietmar wäre zwar gerne noch eine Weile in dem ruhigen Krankenzimmer geblieben, aber er merkte, dass man ihn loswerden wollte. Silke hatte er noch nicht angerufen. Sie sollte sich keine Sorgen machen, außerdem war er ja wieder hergestellt, mehr schlecht als recht zwar, aber: Unkraut vergeht nicht so schnell!

Seine Klamotten waren alle wegen des Benzins völlig hinüber, doch Brigitta hatte ihm gestern am Vormittag, noch vor ihrer Abfahrt nach Luzern, neue Kleidung gebracht. Rührend von ihr, das musste er zugeben. Sie hatte das stinkige Zeug mit in eine Herrenboutique genommen und dort gesagt, sie brauche Unterwäsche, Jeans, Hemd, Jacke und Slipper in gleicher Größe. Er gefiel sich in seinem neuen Aufzug überhaupt nicht. Die Jeans und die Schuhe waren zu eng, das Hemd zwar okay, aber in der grauen Fliegerjacke sah er komisch aus. Immerhin konnte er froh sein, dass er nicht nackt raus musste aus dem Spital.

Dietmar rief Brigitta an. »Brigitta, wo bist du? Hast du in Luzern was herausfinden können, bei dieser alten Frau Raubinger?«

»Ganz langsam, kranker Bronzo, bardzo powoli. Du bekommst schon noch deinen Kuroczyk-Bericht. Ich habe mir hier in Laufenburg ein Zimmer genommen, im Hotel Mokka. Ładny pokój. Am besten, du kommst mit dem Taxi her, dann entwerfen wir unseren Schlachtplan.«

»Schlachtplan? Mit ist zwar gar nicht nach Schlacht zumute, sondern eher nach Schlaf, aber gut, ich komme.«

Dietmar fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter in den Eingangsbereich des Spitals, wankte dort langsam zur Rezeption und ließ sich ein Taxi rufen. Er beschloss, das weitere Vorgehen der polnischen Kommissarin zu überlassen, sie hatte ja kein Benzin gesoffen, so wie er.

Brigitta saß in der noblen Lobby des Hotels und sah ihn skeptisch an. »Ohoh, du siehst aber noch arg aus! Kannst du denken, Bronzobär? Ty biedny człowieku!«

»Bitte hör auf mit dem Polnischen, sonst kann ich erst recht nicht denken. Hast du mit der alten Raubinger gesprochen?«

»Also: Die Dame ist geistig total verwirrt. Die glaubte, dass ich die Putzfrau bin und dass ihre Enkeltochter noch ein kleines Kind ist. Małe dziecko. Aber in der Garage stand der Porsche von Barbara Raubinger! Sie und Neumann müssen also bei ihr gewesen sein.«

»Geistig total verwirrt? Sehr merkwürdig. Dann konnte die Alte auch nicht sagen, wohin Neumann mit seiner Freundin weitergezogen ist?«

»Die wusste gar nichts von einem Besuch.«

»Vielleicht sollte ich sie nochmal konsultieren und befragen.«

»Willst du wieder grob werden, Bronzounhold? Dafür bist du ja bekannt. Diabeł.«

»Nein, doch nicht bei einer alten Frau! Aber vielleicht verrät sie ja einem Polizisten mehr als einer Putzfrau. Oder sie hält mich dann für den Installateur.«

»Ah, Bronzo, sehr schön, deinen Humor hast du schon wieder. Die Fliegerjacke steht dir übrigens. Besser als dieses grindige Sakko. Bardzo męski.«

»Ich habe einen Vorschlag! Wir organisieren bei den Schweizer Kollegen eine Fangschaltung des Festnetzanschlusses von der alten Raubinger. Sollte ihre Enkelin anrufen, bekommen wir die Info, von wo aus sie mit ihrer Großmutter telefoniert. Und vielleicht auch, wo sie mit ihrem Freund Neumann hin will. Allerdings: Wenn die Alte geistig komplett hinüber ist, wird ihre Enkeltochter kaum mit ihr telefonieren. Aber möglicherweise hatte sie ja bei dir nur eine vorübergehende Verwirrung. Ob wir eine solche Fangschaltung bei den Schweizer Kollegen genehmigt bekommen, kann ich nicht sagen. Vielleicht, weil Gefahr im Verzug und Neumann unberechenbar ist? Was er mit mir an der Tankstelle gemacht hat, ist ja Grund genug, oder?«

»Du bist ein raffinierter Bronzo, du kannst sogar wieder sehr gut denken! Brawo! Ich glaube aber, wir brauchen diese Fangschaltung gar nicht. Die junge Frau Raubinger hat ihre Oma bestimmt vor dem Besuch von unterwegs angerufen, von ihrem Handy aus. Wenn wir überprüfen lassen, was für Anrufe bei der Babunia, äh Oma, eingegangen sind, haben wir dann doch auch die Nummer ihrer Enkelin. Und können deren Handy orten!«

»Aber nur, wenn es die junge Frau Raubinger nicht deaktiviert hat. Auch wenn sie daran selbst nicht denkt, Neumann wird es vielleicht. Wir sollten die Fangschaltung trotzdem in Erwägung ziehen, damit wir ein eventuelles Gespräch mithören können. Brigitta, du könntest bei der Luzerner Polizei anfragen, ob wir das genehmigt bekommen. Es ist halt unsere einzige Möglichkeit, an den beiden dranzubleiben. Ich hasse es, mich darauf verlassen zu müssen. Polizeiarbeit, die auf den Zufall angewiesen ist. Widerlich.«

»Ja, widerlich. Obrzydliwe. Aber das Pärchen macht bestimmt bald wieder auf sich aufmerksam, dann bleiben wir am Ball. Ballroom Blitz. Sweet. Are you ready, Steve?« Brigitta spielte Luftschlagzeug.

»Wieso sagst du Steve zu mir? Ach, ist ja auch egal, ich bin müde.«

»Müde, Bronzobaby? Komm, wir gehen rauf aufs Zimmer, ich mache dich munter. Chcemy uprawiać seks.«

Fortsetzung folgt

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Abbildung: Thomas Breher auf pixabay