Fortsetzung von Blog Nr. 280
4. März, Samstag, 10.30 Uhr.
Friederich war mit allem durch. Silent Hill 1 + 2, Blood Rayne 1 + 2, Man Hunt, God of War 1 + 2 + 3. Und natürlich auch mit dem angeblich „heftigeren“ Stoff: Silent Hill Homecoming Fallout 3, Ghost Recon Advanced Warfighter 2, Mortal Kombat X. Peng peng peng peng peng. Im Sessel hocken und die „Kaninchen“ wegputzen. Er nannte sie „seine Kaninchen“, die digitalen Soldiers, Aliens, Zombies. Allerdings: Treiben OHNE KONSEQUENZEN. Harmlosigkeiten. Ganz genau: Destruction without any risk. Pseudoblut. Pseudoopfer. Alles Pseuuudo. Ohne Sinn. Den Spruch aus „Chick“ fand er gut. OHNE SINN. Brotlose Kunst. Ein Meister der Vernichtung, von dem keiner etwas wusste. Jeder Künstler will Anerkennung für seine Meisterschaft. Jeder Musiker, jeder Schriftsteller will das mal. Nicht nur was im stillen Kämmerlein ausbrüten, obwohl es keine Sau interessiert. Es juckte tatsächlich keine Sau, was Friederich machte und konnte. Was er nicht konnte, das wusste er. Mädels herkriegen. Das brachte er nicht. Dann halt nicht. Es war ihm mittlerweile völlig egal. Für spezielle Erleichterungen benötigte er nichts Echtes. Aber klar: Das war alles Friederich 1. Meinetwegen auch Friederich 2 + 3 + 4 + 5. Alles lahmer Scheißdreck. WANN passierte Friederich X? Friederich X MIT SINN. Genau: Das war die FINAL CHALLENGE.
Dazu brauchte es Tapferkeit. Hinauszugehen, FRIEDERICH X leben. Den Vollstrecker MIT Konsequenzen. Die Konsquenzen nicht fürchten. Nein, sie genießen. DAS war die Challenge. Sein Vater war mal Soldat gewesen und hatte Leute erschossen. Irgendwo im Morgenland. Nun soff er den ganzen Tag. Unwürdig. Er hatte die Konsequenzen nicht aushalten können, dachte sich Friederich. Aber sein Vater hatte auch keine richtige Ausbildung gehabt. So wie er. Wer nicht trainiert, verliert. Friederichs Reaktionsgeschwindigkeit, sein messerscharfer Verstand, die Überlegenheit über Gefleuch — das hatte sein armer Vater nicht gehabt. Darum soff er jetzt. Friederich trank Karamalz. Nichts sonst. Klar bleiben im Kopf. Hell und wach bleiben. Und KONZENTRIERT.
Aber sein Vater war DRAUSSEN gewesen. Das hatte er seinem Sohn, dem Gameboy, eindeutig voraus. Friederich musste endlich herausfinden, wie sich richtige Konsequenzen anfühlten. Den Gameboy transformieren, ein Mann werden. MAN HUNT. Als sein Vater noch nicht jeden Tag gesoffen hatte, hatte er Friederich im Wald gezeigt, wie man auf Kaninchen schießt. Falls mal Einbrecher kommen würden und sein Vater nicht da sein sollte. Hatte er gesagt. Tatsächlich war der Alte ja IMMER da, aber den Revolver hätte er in seinem jetzigen Zustand nicht mehr gerade halten können. Vielleicht hatte er das geahnt und Friederich deshalb angelernt. Das waren eigentlich schöne Zeiten gewesen. Friederich hatte die Waffe in seinen Besitz genommen, aus Sicherheitsgründen. Damit der Alte keinen Scheiß baute, wenn er gerade im Delirium war. »Papa, ich pass drauf auf.«, »Papa, ich weiß schon , was zu tun ist, wenn es losgeht.« HEUTE ging es los. Das große Konsequenzen-Spiel. Live at the Migros. Tickets for free.
Gerald und Babs standen vor den Kühlregalen und studierten das Warenangebot für Kirsch-Joghurts.
»Du Gerald, ich schalte jetzt mal kurz mein Handy ein, ok? Ich muss wissen, ob meine Oma auf meine Nachricht auf den AB reagiert hat.«
»Passt schon, Liebes. Man weiß sowieso ziemlich bald, dass wir uns in dieser Gegend aufhalten, wegen der Action im Bus.«
Babs staunte nicht schlecht über die whatsapp ihrer Großmutter: „Wir treffen uns in Chamonix-Mont-Blanc. Bitte erstmal keinen Rückruf, ich melde mich wieder, deine Oma.«
»Meine Oma hat geschrieben! Sie will uns treffen! Lies mal!«
»Das ist ja rätselhaft! Was hat die alte Dame vor? Ist ja lustig. Um die Sache nicht zu kompliziert zu machen, schlage ich vor, wir fahren also tatsächlich dorthin. Vielleicht schaffen wir es per Anhalter.«
»Meine Oma ist so lieb. Sie will uns nochmal treffen, bevor man uns erwischt und verhaftet, Gerald!«
»Ach komm, nicht so dramatisch! Man verhaftet uns nicht, du wirst schon sehen! Da schau, dieser Kirschjoghurt hat eine sehr schöne Verpackung. Den würde ich als Grafiker nehmen. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass ein gutes Verpackungsdesign noch lange keine Garantie für ein schmackhaftes Produkt ist.«
Babs öffnete die Kühlregaltüre, da hörten die beiden einen sehr lauten Knall.
»Das war ein Schuss, Babs! Eindeutig. Ich weiß ja mittlerweile, wie sich Schüsse anhören. Was ist denn jetzt schon wieder los?«
Es knallte ein zweiter Schuss und man hörte Schreie. Gerald holte heimlich eine der erbeuteten Pistolen aus seinem Rucksack. »Bloß gut, dass wir nicht wehrlos sind.«
»Gerald, Mensch! Lass das, wir wollen uns raushalten.«
»Natürlich halten wir uns raus, ist ja klar. Aber sicher ist sicher.«
Schnell aufeinander knallten zwei weitere Schüsse. Wieder Schreie. Zwei Damen, welche ebenfalls am Kühlregal standen, fingen an zu flüstern.
»Um Gottes Willen, da schießt einer Leute tot.«
»Oh weh, wenn der zu uns nach hinten kommt!«
»Ich rufe die Polizei!« Eine der beiden Damen wählte den Notruf, sie war in dieser Situation jetzt bestimmt nicht die einzige, die das tat. Im Supermarkt waren um diese Zeit sehr viele Leute.«
»Du Babs, schau mal, da vorne ist ein Eingang zu einer Lagerhalle. Da drin ist es relativ dunkel, lass uns versuchen, dort hinzukommen. Wenn wir Glück haben, geht es von dort raus ins Freie.«
Gerald nahm Babs’ Hand, die Pistole von Wladmir hatte er sich in die linke Jackeninnentasche gesteckt. Langsam und geduckt schlichen die beiden am Kühlregal entlang, in die Richtung des Lagereingangs.
Eine der beiden Damen: »Passen Sie bloß auf! Wir würden da nicht vorgehen.«
»LAUFT NUR DAVON, IHR KLEINEN KANINCHEN. FRIEDERICH KRIEGT EUCH ALLE!«
Ein weiterer Schuss krachte, diesmal hörten ihn Gerald und Babs deutlich lauter. Auch das Geschrei wurde lauter. Die Leute rannten panisch nach hinten, stießen sich dabei gegenseitig, ein Ständer mit Weinflaschen kippte. Das Scheppern beim Aufknallen und Zerplatzen der Flaschen vermischte sich mit dem Krachen eines weiteren Schusses. Kurz bevor Gerald und Babs an dem Eingang zur Lagerhalle angekommen waren, sahen sie den Typen.
»DER FRIEDERICH, DER FRIEDERICH, DER IST EIN ARGER WÜTERICH! HAHAHAHAHA.«
Er zielte mit der Waffe auf die beiden, Gerald schubste Babs in die Lagerhalle, ganz nah neben ihm schlug eine Kugel in das Kühlregal ein, die Glastüre zerbarst mit einem Knall in tausend kleine Scherben. Gerald lief Babs hinterher. Sie sahen einen Migros-Angestellten, er war hier im Lagerraum gewesen, als er die Schüsse gehört hatte.
»Was ist denn da draußen los?«, flüsterte Mirko.
Babs: »Gehen Sie bloß nicht raus, da schießt einer auf Leute!«
Gerald: »Geht es von hier aus ins Freie?«
In diesem Moment sahen sie die Silhouette des Angreifers am Eingang zum Lagerraum stehen.
»WO SEID IHR DENN HINGEHOPPELT, MEINE KLEINEN? ICH FANGE EUCH SCHON!«
Gerald, Babs und Mirko duckten sich hinter Regale und leere Lebensmittelkartons. Friederich kam näher, er wusste, dass man ihm nichts anhaben konnte. Das analoge Gefleuch war noch weniger wehrhaft als das digitale in seinem PC. Mirko stieß an ein Metallregal, es schepperte laut. Friederich schoss sofort, Gerald sah, dass der Angestellte von der Wucht des Treffer in seinen rechten Oberarm nach hinten gefallen war.
»KANINCHEN? KOMMT HERAUS, FRIEDERICH IST DA!«
Gerald stand auf und schoss viermal. Friederich fiel nach hinten in einen Stapel mit Kartons, als wäre er bloß eine Pappfigur. Dort blieb er regungslos liegen.
»Wo geht es hier raus? Sie brauchen einen Arzt!«
Mirko stöhnte und hob den gesunden Arm: »Da hinten, sehen Sie die Türe. Da geht es raus. Ist der Mann tot? Sind Sie Polizist?«
»Kommen Sie.« Babs half Mirko hoch und stützte ihn, langsam gingen sie zu dritt zu der Tür, welche ins Freie führte. Das grelle Tageslicht empfing sie. Von weitem hörte man Polizeisirenen.
Gerald: „Hören Sie, gehen Sie bitte vor zum Eingang, dort wird bestimmt gleich ein Krankenwagen eintreffen.«
»Gehen Sie nicht mit?« Mirko war blass und ihm war übel.
»Wir kommen dann nach, wir müssen uns erst um etwas anderes kümmern. Schaffen Sie es alleine?«
»Ja. Vielen vielen Dank. Ich glaube, Sie haben mir das Leben gerettet. Wenn Sie nicht dagewesen wären! Hoffentlich ist der Mistkerl tot.«
Gerald und Babs nickten Mirko zu, dann wandten sie sich in die Richtung des großen Discounter-Parkplatzes. Dort standen Leute unschlüssig vor ihren Autos, weil sie die Schüsse gehört hatten.
»Was machen wir jetzt Gerald? Wir müssen weg von hier. Aber ob uns in dieser Situation jemand freiwillig mitnimmt?«
»Freiwillig? Das glaube ich nicht.«
Sie gingen zu einem großen schwarzen Volvo, aus dem gerade eine elegante Frau in beigem Kostüm und mit Chanel-Sonnenbrille ausstieg. Offensichtlich wollte sie zum Einkaufen ins Migros-Center.
Gerald: »Hallo, da würde ich an Ihrer Stelle nicht reingehen. Da drin ist ein Verrückter, der auf Leute schießt. Wir konnten durch einen Seitenausgang flüchten.«
Bettina Schicker blieb gelassen: »Was Sie nicht sagen, ein Verrückter? Ah, ich höre auch schon Polizeisirenen! So ein Ärgernis. Tja, dann wird es heute wohl nichts mehr mit Einkaufen im Migros. Danke für die Info, ich fahre jetzt wohl besser zum Aldi rüber.«
Bevor die Dame wieder einsteigen konnte, fragte sie Babs: »Eine ganz große Bitte hätten wir. Könnten Sie uns zum Aldi mitnehmen? Wir sind nämlich zu Fuß hergekommen.«
Bettina sah die beiden streng an. »Tja, ich weiß nicht.«
»Das wäre wirklich sehr nett von Ihnen.«
Bettina dachte sich, dass das Pärchen ziemlich harmlos aussah. »Na dann, steigen Sie ein. Zu Fuß zum Aldi ist es ja doch etwas weit.«
Babs flüsterte Gerald zu: »Du, meine Reisetasche liegt noch im Supermarkt! Die habe ich da dummerweise stehengelassen. So ein Mist.«
»Wir kaufen dir neue Sachen, Babs. In Chamonix.«
Als der Volvo auf die Hauptstraße bog, zeigte Gerald Frau Schicker eine seiner Pistolen.
»Bitte seien Sie uns nicht böse, aber wir müssen unbedingt heute noch nach Chamonix-Mont-Blanc. Dort gibt es doch bestimmt auch einen Aldi. Entweder Sie chauffieren uns dort hin und behalten damit Ihr Auto oder Sie steigen aus und ich fahre. Diese Entscheidung überlassen wir gerne Ihnen.«
Fortsetzung folgt
Abbildung: Michael auf pixabay