BvsN-42

Fortsetzung von Blog Nr. 281

5. März, Samstag, 18.30 Uhr.

»Verdammt, der mausert sich noch zum Schweizer Volkshelden. An EINEM Vormittag schaltet er erst zwei Räuber in einem Reisebus aus und danach beendet er in einem Supermarkt ein Blutbad. Dass Neumann keine Spuren hinterlassen würde, kann man nicht behaupten. Er und seine Freundin haben sich gleich wieder verdünnisiert, nachdem er den Amokläufer im Supermarkt erledigt hat. Ich gebe zu, dass ich von dem Typen langsam beeindruckt bin, schließlich habe ich ihn ja im Präsidium noch als ziemliches Weichei erlebt.«

»Sososo, Weichei! Wir können glücklich sein, dass uns die Schweizer Kollegen so zuverlässig informieren, mein großer Hartei-Bronzo. Morgen oder am Montag wird es der Aufmacher in allen Zeitungen sein. Aber seit ein paar Stunden läuft ja die Ortung von Raubingers Handy. Sie hatte es heute Nachmittag kurz vor Chamonix-Mont-Blanc eingeschaltet. Wir sollten uns beeilen! Śpieszymy się!«

»Unbedingt, Brigitta. Bin froh, wenn ich von hier wegkomme.«

»Let’s go, Bronzomann. Ich fahre, du buchst uns währenddessen ein Hotel in Chamonix. Wenn wir großes Glück haben, treffen wir Neumann und Raubinger dort an der Bar. Czy to nie byłoby śmieszne?«

»Mensch, hör mit dem Polnisch auf! Das nervt echt.«

»Du solltest es langsam lernen, Bronzobaby, ist nicht schwer!«

»Dein „Bronzobaby“ ist glücklich verheiratet und freut sich darauf, seine liebe Gattin bald wieder in München zu sehen. Dass das klar ist! Das hier mit uns ist nur eine vorübergehende Sache.«

»Du kannst froh sein, wenn ich deine kleine Aktion im Meersburger Dampfbad nicht ausplaudere, also halte mal den Ball flach. Cholerny dupek.«

»Willst du mich erpressen?« Bronzo wurde wütend.

»Ach, was, wie kommst du denn darauf? Under pressure. Freddie.« Brigitta fing an, mit den Fingern zu schnippen.

»Du mit deinen scheiß Liedern.«

»Du solltest dich mit mir vertragen. Sonst werfe ich dich am Mont Blanc in eine Gletscherspalte. Niemuzykalna osoba!«

Brigitta warf ihm einen Luftkuss zu. Bronzo hätte sie dafür gerne sofort erwürgt. In einem Anfall von Sehnsucht schrieb er Silke eine SMS: „Hi Mäusle, auf der Suche nach Neumann werde ich heute sehr spät noch in Chamonix-Mont-Blanc eintreffen. Eindeutige Hinweise führen dorthin. Ich bin im Hotel Hélios, da waren wir beide mal vor vielen Jahren, weißt du noch? Ich hoffe, dass ich zusammen mit der Kuroczyk Neumann endlich fassen kann. Ich vermisse dich sehr, dein Dietmar.“

Und zu Brigitta: »Okay! Über die A12 sind es von Laufenburg 280 Kilometer. Sehen wir zu, dass wir bis 22 Uhr ankommen.«

Silke hatte ihren letzten Flug für dieses Wochenende hinter sich gebracht, sie befand sich noch am Flughafen München, als sie die Nachricht ihres Gatten las. Chamonix, klar erinnerte sie sich! Dort wäre sie auch nochmal gerne — bei ihm. Aber warum eigentlich nicht? Sie beschloss, Dietmar zu überraschen. Um 22.10 Uhr ging ein Lufthansa-Flug nach Genf, Ankunft dort eine Stunde später. Sie buchte den Flug und eine Übernachtung im Genfer Nash Airport Hotel. Am Sonntag ganz früh am Morgen würde es dann weitergehen, mit einem Mietwagen nach Chamonix, ungefähr 100 Kilometer südlich. Sie wollte ihren Langschläfer Dietmar mit einem späten Sonntagsfrühstück überraschen. Er würde Augen machen, darauf freute sie sich.

Ungefähr acht Stunden zuvor: Gerald ärgerte sich gewaltig über seine Nachlässigkeit. Er hatte sich dazu hinreißen lassen, der Dame im Volvo die Wahl zu lassen, ob sie ihn und Babs lieber nach Chamonix chauffieren oder noch am Migros-Discounter aus ihrem Wagen austeigen wollte. Wie unglaublich blöde von ihm. Die Dame hatte sich dazu entschieden, die beiden zu fahren, gezwungenermaßen, denn sie wollte ihr Auto behalten. Nachdem sie ihre Passagiere am Zielort abgeladen haben würde, war anzunehmen, dass sie der Polizei über ihre Entführung Bescheid gab. Gerald konnte zwar nicht wissen, wie es Bronzo nach der „Benzindusche“ vor zwei Tagen an der Tankstelle in Frick ging, aber er schätzte, die Schweizer Polizei würde den Kommissar auf dem Laufenden halten. Denn nach dem Vorfall im Supermarkt hatte Neumann jetzt wohl endgültig den Status „VIP“. Während der dreistündigen Fahrt nach Chamonix-Mont-Blanc versuchte Babs bei der Dame am Steuer Sympathien zu gewinnen.

»Es tut uns wirklich leid, dass es Sie getroffen hat. Aber uns blieb wirklich keine andere Wahl. Wir mussten dringend weg vom Supermarkt, wegen der Polizei.«

»Mir kommen gleich die Tränen. Ich habe mir diesen Samstag ehrlich gesagt anders vorgestellt. Sie werden mich doch hoffentlich nicht erschießen?«

Babs, mit einem unsicheren Blick auf Gerald: „Wir bringen keine Leute um.«

»Na, das ist ja schon mal beruhigend. Warum wollten sie der Polizei nicht begegnen?«

Gerald: »Das ist eine sehr lange und abenteuerliche Geschichte.«

Bettina Schicker: »Erzählen Sie, dann wird die Fahrt nach Chamonix nicht so langweilig.«

Babs sah Gerald an, der zuckte mit den Schultern, was wohl bedeuten sollte: Jetzt ist es auch schon egal. Also erzählte Babs, was seit Meersburg vorgefallen war.

Bettina: »Super Story! Sie sollten vielleicht einen Kriminalroman daraus machen.«

Gerald: »Das Ende der Geschichte steht allerdings noch nicht fest. Knast oder Happy End. Wir bevorzugen letzteres.«

Bettina musste lachen. »Ihr seid witzig, Leute, echt witzig.«

An einer Tankstelle in der Nähe von Montreux machten sie Pause. Babs kaufte Snacks und Getränke im Shop, während Gerald auf Bettina aufpasste.

»Eine liebe Freudin haben Sie da. Sie scheint echt zu Ihnen zu halten, obwohl Sie gute Aussichten haben, bald im Gefängnis zu sitzen.«

»Tja, der Zufall und die Umstände haben uns zusammengeführt. Ich würde mit Babs auch lieber ein „normales“ Beziehungsleben führen. Aber seit wir uns kennen, sind wir auf der Flucht. Schicksal.«

»Eigentlich müsste man Sie doch wegen ihrer Heldentaten in diesem Reisebus und vor allem im Supermarkt begnadigen.«

»Mildernde Umstände, das könnte vielleicht sein.«

25 Kilometer vor Chamonix-Mont-Blanc bekam Babs eine whatsapp von ihrer Oma: „19 Uhr Hotel Hélios. Nichts buchen!“ Babs hoffte sehr, dass die Polizei nur Geralds Handy orten konnte und nicht auch schon ihres angezapft hatte. Aber wie sollte sie sich denn sonst mit ihrer Oma verständigen? Sie zeigte Gerald die Nachricht, er grinste und hob den Daumen. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, erstaunlich.

Gerald zu Frau Schicker: »Ich hätte eine Bitte. Könnten Sie eventuell davon absehen, unsere kleine Fahrt bei der Polizei zu melden? Dann hätten wir vielleicht noch eine Chance auf ein Happy End.«

»Ihr seid gut, ich mache mich ganz sicher nicht zu eurer Komplizin, das könnt ihr nicht von mir verlangen.«

Babs: »Tun Sie, was Sie nicht lassen können, wir bleiben sowieso nicht lange an diesem Ort. Wir reisen danach gleich weiter nach Italien.«

Am Ortseingang von Chamonix-Mont-Blanc stiegen Gerald und Babs aus. Es war 15.30 Uhr. Bettina Schicker dachte lange darüber nach, beschloss aber dann doch, die beiden nicht an die Polizei zu verraten. Sie waren ja eigentlich ganz nett gewesen und es sollte nicht an ihr gelegen haben, wenn das Happy End nicht stattfinden würde. Außerdem hatte sie schon langweiligere Samstagnachmittage verbracht.

Gerald und Babs spazierten langsam in den malerischen Ort hinein und betrachteten fasziniert die „Skyline“ der schneebedeckten Berge, welche machtvoll hinter der Stadt aufragten. Sie hatten noch ein paar Stunden Zeit für Sightseeing im Ortszentrum, bevor sie südlich davon das „Hélios Hotel & Spa“ aufsuchen wollten. Da sie nun ihre Smartphones ausgeschaltet ließen, orientierten sie sich „analog“. Gerald kaufte in einem Touristenladen einen Faltplan für die nähere Umgebung, während Babs Mont Blanc-Miniaturen und dekorierte Kuhglocken in allen Größen betrachtete. Sie waren ja gewissermaßen Touristen und es war für sie von Vorteil, dass es in dem Ort nur so davon wimmelte. Gerald war McDonalds-Fan, zum junk food gab es ein rustikales Ambiente mit hohen Wänden und antiken Deckenlaternen.

So gegen 18 Uhr machten sie sich auf den Weg in das Luxushotel, welches Oma Raubinger für ihren Treff ausgesucht hatte. Das Hélios wirkte auf Gerald wie eine monströs aufgeblasene Almhütten und war spektakulär beleuchtet. Sie spazierten in die große Lounge und machten es sich in einer Sitzecke in großen grauen Polstersesseln bequem.

Babs war sehr gespannt darauf, ob ihre Oma wirklich auftauchen würde. Zweifel hatte sie diesbezüglich eigentlich keine, denn Oma Raubinger war schon immer absolut zuverlässig gewesen. Dass die alte Dame jedoch die lange Strecke von Luzern alleine im Auto fahren konnte, bezweifelte ihre Enkelin dann doch.

Um 18.50 Uhr betraten Marianne Raubinger und Alfred Kollinger die Lounge. Sie wirkten wie ein sehr gereiftes aber glückliches Ehepaar und passten sich problemlos in das noble Ambiente ein. Babs wollte eine überschwängliche Begrüßung vermeiden, denn das Gebot der Stunde hieß ja: bloß nicht auffallen! Daher winkte sie ihrer Oma von der Sitzecke aus nur zu. Frau Raubinger erwiderte die Geste, dann checkte sie mit ihrem Begleiter in aller Ruhe ein. Als Marianne und Alfred die Magnetkarten für ihre Suite hatten, ging Babs’ Oma zu ihrer Enkeltochter hinüber und sagte nur leise: »Zimmer 156 im ersten Stock. Wartet zehn Minuten, dann kommt mit dem Lift herauf.«

Als Babs an der Türe klopfte und Alfred öffnete, war die Begrüßung umso herzlicher. Babs kannte Alfred, er war der beste Freund ihres Opas gewesen, vor dessen schrecklichem Autounfall. Das lag allerdings lange zurück, Babs war damals noch in die Grundschule gegangen. Aber sie hatte Alfred in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder mal gesehen, wenn er zu Besuch bei ihrer Oma war.

»Ihr seid doch nicht etwa mit meinem Porsche hergefahren, Oma?«

»Wo denkst du hin, meine Süße! Natürlich nicht! Erinnerst du dich vielleicht an Alfreds altes Wohnmobil?«

»Ich wusste gar nicht, dass er eines hat. Mit dem seid ihr gekommen?«

»Ganz genau! Es steht jetzt in der Tiefgarage des Hotels.«

Alfred: »In dem alten Pössl kann man zu zweit ganz gut übernachten. Marianne und ich dachten uns, das wäre doch was für euch. Da seid ihr nachts erstmal gut untergebracht. Wir wissen ja nicht, wie lange ihr hier in Chamonix bleiben wollt, beziehungsweise bleiben könnt.«

Gerald: »Das ist ja eine super Idee! Dieses Angebot nehmen wir sehr gerne an, gell, Babs?«

»Ja, klar! Für den unwahrscheinlichen aber möglichen Fall, dass die Polizei hier in dem Hotel nach uns fahndet, sind wir dann gut versteckt. Bisher hatten wir auf unserer Reise durch die Schweiz nicht besonders viel Glück, hoffentlich haben wir es wenigstens hier in Frankreich.«

»Jetzt sind WIR ja da!«, sagte Oma Raubinger und drückte Babs’ Hand. »Alles wird gut.«

Fortsetzung folgt

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Abbildung: Simon auf pixabay