BvsN-43

Fortsetzung von Blog Nr. 282

6. März, Sonntag, 8.30 Uhr.

Die Fahrt von Genf nach Chamonix-Mont-Blanc am Sonntagmorgen war für Silke angenehm gewesen. Wenig Verkehrsaufkommen — und sie hatte ja außerdem die Vorfreude auf ihren Dietmar, welchen sie vor acht Tagen vor ihrer Abreise aus Meersburg das letzte Mal gesehen hatte. Um 8.30 Uhr spazierte sie in die Lounge des Hélios Hotels. Vor zwölf Jahren war sie hier mit Dietmar schon einmal gewesen, auf der Durchreise an die Cote d’Azur — Sommer 2011. Damals hatte er noch eine vergleichsweise gute Figur gehabt, aber sie mochte ihn auch vollschlank — um es vorteilhaft auszudrücken. Das Hotel war inzwischen aufwändig renoviert und sehr stylish geworden. Sie ging zur Rezeption.

»Guten Morgen, mein Name ist Silke Bronzo. Mein Mann Dietmar Bronzo hat seit gestern hier ein Zimmer. Ich möchte ihn gerne besuchen, könnten Sie mir bitte seine Zimmernummer nennen?

»Herr Bronzo wohnt in Zimmer 272, im zweiten Stock.«

»Sie könnten mir nicht ausnahmsweise einen Schlüssel für das Zimmer geben? Ich würde meinen Mann gerne sehr speziell überraschen.« Silke lächelte und zwinkerte der jungen Rezeptionistin zu.

»Das dürfen wir eigentlich nicht, tut mir wirklich leid.«

„Sehen Sie, hier ist mein Personalausweis: Silke Bronzo. Es wäre wahnsinnig lieb, wenn Sie für mich eine Ausnahme machen würden.« Silke wollte der Frau einen Geldschein über 20 Schweizer Franken geben.

»Danke, das kann ich wirklich nicht annehmen. Aber einverstanden, ich gebe Ihnen eine Magnetkarte für das Zimmer. Bitte hängen Sie das bloß nicht an die große Glocke, ich bekomme sonst Schwierigkeiten, wenn es herauskommt.«

»Super! Ich bringe Ihnen die Karte in einer Stunde wieder zurück, darauf können Sie sich verlassen. Vielen Dank nochmal.«

Silke nahm den Lift in den zweiten Stock und öffnete leise die Tür zu Zimmer 272.

»Przenosić, mein Bronzoschweinchen, tłuste prosię!« Brigitta Kuroczyk hockte auf Bronzo, bewegte sich rhythmisch und klatschte mit beiden Händen auf seine schwabbelige Brust. Ihr pechschwarzer Pferdeschwanz flog hin und her, er stieß ein gutturales Stöhnen und Grunzen aus.

Silke sah vom schmalen Flur aus Brigittas nackten Rücken und die behaarten Beine ihres Gatten. Sie brachte vor Schreck kein Wort heraus. Das hätte sie nie erwartet, niemals. Auf dem Garderobentischchen im Flur lag ein Gürtel mit einer Dienstwaffe. Wie in Trance nahm Silke die Waffe aus dem Holster und entsicherte sie. Wenn man jahrzehntelang mit einem Polizisten zusammenlebte, wusste man, wie das ging. Sie schloss leise die Türe, trat in das Zimmer und richtete die Waffe auf die Decke, direkt über Dietmar und der Kuroczyk. Sie schoss, es krachte, von der Decke rieselte Putz herunter, Brigitta saß auf einen Schlag wie eingefroren auf Bronzo. Dieser wuchtete sich hoch, die nackte polnische Kommissarin kippte von seinen fetten Oberschenkeln und fiel auf den Teppichboden.

»SILKE!«

Silke Bronzo schoss ein zweites Mal, diesmal schlug der Schuss einen Meter über Dietmars Kopf in die Blumentapete.

»SILKE, UM GOTTES WILLEN, NIMM DIE WAFFE RUNTER!«

»Pani Bronzo, uspokój się!« Brigitta richtete sich auf, sie starrte Silke an, ihr Kopf war rot angelaufen. »ODŁÓŻ PISTOLET!«

Silke senkte die Pistole. »Dietmar, warum? Wir sind doch glücklich zusammen. Warum tust du uns das an?«

»Mäusle, bitte, lass uns in Ruhe darüber reden.« Auf Bronzos rotem Schädel lag weißer Staub von der Zimmerdecke.

»Frau Bronzo, wieso kommen Sie einfach in das Zimmer herein! Das ist privat. To jest prywatne.«

»WIE BITTE? PRIVAT? DU VERDAMMTES POLNISCHES FLITTCHEN. WER GLAUBST DU, WER DU BIST?«

Silke hob die Waffe erneut und schoss an Brigitta vorbei auf das Nachtkästchen. Die Nachttischlampe zerbarst, Glassplitter flogen. Brigitta fing an zu kreischen und lief geduckt um das Bett herum, auf die andere Seite, um sich zu verstecken.

»Silke, du alarmierst das ganze Hotel! Bitte leg jetzt die Waffe weg.« Bronzo stand auf und ging langsam auf Silke zu. „Mäusle, bitte.«

Silke senkte die Pistole und fing an zu weinen. Der nackte Bronzo umarmte sie. Sie drückte ihn weg.

»Ich bin nicht mehr dein Mäusle. Das ist für immer vorbei.«

Brigitta richtete sich hinter dem Bett auf. »GUT, GEHEN SIE! IDZIESZ! Bronzo ist jetzt mit mir. Bronzo jest mój.«

Silke hob die Pistole ein letztes Mal und schoss der Kuroczyk ein Loch in die Stirn. Dann ließ sie die Waffe auf den Teppich fallen und hockte sich stumm daneben.

»SILKE, NEIN! OH MEIN GOTT!« Bronzo lief zu Brigitta, welche mit blutigem Gesicht reglos in der Ecke lag.

Und Silke: »Zieh dir was an, Dietmar. Du frierst sonst.«

Es hämmerte laut an der Tür. Jemand schrie: »Was ist denn das für ein Lärm am Sonntagmorgen! Sind Sie verrückt? Machen Sie gefälligst den Fernseher leise, sonst rufe ich das Personal!«

Obwohl das Hélios hervorragend schallisolierte Wände hatte, waren die Schüsse natürlich gehört worden. Aber anscheinend nur von Gästen in einem Nachbarzimmer, das Reinigungspersonal befand sich um diese Uhrzeit noch ein Stockwerk tiefer.

Bronzo setzte sich, noch immer nackt, auf das Bett, er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Leise sagte er: »Silke, das hättest du nicht tun dürfen. Was machen wir denn jetzt. Was machen wir denn jetzt bloß?«

Silke stand auf und setzte sich neben ihm aufs Bett. Es war auf einen Schlag totenstill in dem Zimmer. Eine Minute saßen sie so da, Silke legte ihre linke Hand auf Bronzos nackten Oberschenkel.

»Wir bringen die Leiche weg.«

»Am hellichten Tag? Wie soll das gehen, Mäu… äh, Silke.«

»Was weiß denn ich? Du bist der Kommissar.«

»Damit ist es jetzt endgültig vorbei. Das wars.« Er nahm ihre Hand.

»ICH habe sie erschossen, Dietmar. Und mir tut es nicht mal leid.«

»Wir brauchen einen Gepäckwagen, Silke. Wir legen Brig… äh, die Tote drauf, Leintuch drüber und dann gehts über den Lift in die Tiefgarage.«

»Okay. Du ziehst dich an, ich organisiere den Gepäckwagen.«

»Ach Silke! Das mit der Kuroczyk war doch keine Liebe. Sie hat mich erpresst, wegen dem Vorfall im Meersburger Dampfbad, das musst du mir glauben.«

»Das ist mir ganz gleich, Dietmar. Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich organisiere uns nun einen Gepäckwagen. Du ziehst dich bitte an und packst deinen Koffer. Wir reisen schnellstens ab. Mit der Kommissarin im Kofferraum deines Wagens. Ich muss aber dann auch noch meinen Mietwagen abgeben, bei Sixt. Dann fahren wir heim. Nach Hause.«

»Mit der toten Kuroczyk im Kofferraum?«

»Da findet sich eine Lösung, Dietmar.«

»Was ist mit Neumann?«

»Was soll mit Neumann sein? Vergiss ihn. Die Prioritäten haben sich geändert. Dietmar, hörst du mich? DIE PRIORITÄTEN HABEN SICH GEÄNDERT.«

»Neumann ist an allem schuld. Mit ihm fing alles an.«

»Das bringt uns jetzt nicht weiter, Dietmar.«

»Wir werden beide im Gefängnis landen, Silke.«

»Nein, das werden wir nicht. Wenn wir keinen Fehler machen. Wir bekommen das gebacken.«

»Wie soll ich Leitinger erklären, wo die Kuroczyk abgeblieben ist?«

»Ein Schritt nach dem anderen. Ich hole jetzt den Gepäckwagen. Zieh dich an.« Silke ging aus dem Zimmer, fuhr mit dem Lift in die Lounge und gab bei der Rezeptionistin die Magnetkarte ab.

»Vielen Dank nochmal dafür. Es ist alles super gelaufen. Mein Mann und ich reisen heute ab, könnten wir einen Gepäckwagen bekommen?«

»Ihr Mann hat aber für drei Tage gebucht und die Rechnung auch schon beglichen, Frau Bronzo.«

»Oh, gewisse Umstände zwingen uns trotzdem leider dazu, schon heute Ihr schönes Hotel zu verlassen.«

»Wird Frau Kuroczyk auch abreisen? Sie kam ja gestern Nacht zusammen mit Herrn Bronzo an und hat das Nachbarzimmer 273.«

»Das kann sein, das weiß ich nicht. Klappt das mit dem Gepäckwagen?«

»Natürlich, Frau Bronzo. Ich lasse Ihnen einen in den zweiten Stock vor Herrn Bronzos Zimmer stellen. Das dauert aber ungefähr eine Viertelstunde.«

»Vielen Dank! Wir müssen ja sowieso noch packen.«

Als Silke wieder oben das Zimmer betrat, war Bronzo angezogen.

»Eine Fliegerjacke? So was hast du doch noch nie getragen!«

»Silke! Das ist doch jetzt wirklich egal. Wir haben hier ein Riesenproblem und ich weiß nicht, wie wir das lösen sollen.

»Wir müssen die Kuroczyk in die Betttücher einwickeln.«

»Wenn uns jemand mit der eingewickelten Leiche sieht, sind wir geliefert, das weißt du, oder?«

»Das weiß ich, Dietmar. Wir sollten noch die Daunendecken drüberlegen, dann sieht es vielleicht so aus, als würden wir einen Packen schmutzige Wäsche abtransportieren. Ich schaue jetzt erstmal nach, ob der Gepäckwagen schon gebracht worden ist.«

Sie machte die Tür einen Spalt auf, das Ding war noch nicht da. »Mensch, hoffentlich hat es die Rezeptionistin nicht vergessen.«

Aber in diesem Moment öffnete sich der Lift, welcher fünf Meter entfernt war. Ein Hotelangestellter rollte den Wagen heraus. Silke schloss schnell die Tür und wartete fünf Minuten. Dann schob sie das Ding ins Zimmer. Bronzo hatte in der Zwischenzeit zwei große weiße Badehandtücher um den Kopf und die Leintücher um den nackten Körper der Toten gewickelt.

»Sie wird vom Wagen kippen, wenn wir ihn rollen, Silke.«

»Wir lehnen sie an das Gestänge und stabilisieren sie mit den Reisetaschen seitlich. Das wird schon gehen.«

»Du Silke, wir müssten doch auch das Gepäck von der Kuroczyk im Nachbarzimmer zusammenpacken. Es muss so aussehen, als wäre sie heimlich abgereist. Gott sei Dank haben wir beide gestern schon über booking.com bezahlt.

»Stimmt! Das hätte ich fast vergessen. Ich gehe rüber und packe ihr ganzes Zeug in ihren Koffer oder in ihre Reisetasche. Dauert etwas, ich darf nichts vergessen.«

Nach einer Viertelstunde kam Silke mit dem Koffer der polnischen Kommissarin zurück und stellte ihn ebenfalls auf den Gepäckwagen. Sie hängten nun noch die Daunendecken über die Leiche, dann öffnete Silke wieder vorsichtig die Türe. Der Gang war menschenleer.

»Ich gehe vor und öffne die Lifttüre. Warte hier, Dietmar.«

Silke winkte ihrem Mann und er rollte den schwer beladenen Gepäckwagen den Gang vor und in den Lift hinein.

»Puh, wir haben mehr Glück als Verstand, Silke.«

»Brauchen wir auch.«

Silke drückte die Taste ins Untergeschoss, zur Tiefgarage. Im ersten Stock hielt der Lift an, die Türe öffnete sich. Draußen stand ein altes Rentnerpärchen.

»Oh, tut mit leid, wir sind hier schon voll.« Silke und Dietmar standen vor dem Wagen, um zu verdecken, was sie transportierten. Der Lift schloss sich wieder und fuhr nun ganz nach unten.

Marianne Raubinger zu Alfred: »Das war ja gerade seltsam. Hast du gesehen? Auf dem Gepäckwagen der Leute lag das gesamte Bettzeug. Die sahen aber nicht nach Personal aus.«

Alfred: »Und sie standen auch davor, als wollten sie etwas verdecken. Es wirkte, als hätten wir sie gerade bei einem Diebstahl beobachtet. Wer stiehlt denn Daunendecken aus einem Hotel? Sehr merkwürdig.«

Und Marianne: „Komm, wir gehen zu Fuß hinunter. Ich freue mich schon auf das Frühstücksbuffet. Babsi und Gerald kommen sicher auch gleich dazu.«

Fortsetzung folgt

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Abbildung: isic auf pixabay