Fortsetzung von Blog Nr. 283
6. März, Sonntag 9.45 Uhr.
Der Lift öffnete sich, Silke und Dietmar Bronzo schoben ihren schwer beladenen Gepäckwagen heraus und durch eine Tür in die Tiefgarage. Sie konnten nur hoffen, dass die Umladeaktion unbeobachtet bleiben würde. Natürlich dachte Bronzo an die Überwachungskameras — das war ein Risiko, welches sie auf sich nehmen mussten. Allerdings war Dietmar sowieso der Ansicht, dass sie für eine erfolgreiche Vertuschung des Mordes an Brigitta Kuroczyk ein höllisches Glück brauchen würden. Sie rollten ihr Gepäck die zwanzig Meter zu Bronzos silbergrauem Daccia Duster, schauten sich nach allen Seiten um, dann luden sie die mit den Leintüchern umwickelte Leiche in den Kofferraum. Das Handtuch an Brigittas Kopf hatte sich rot verfärbt. Sie legten die Daunendecken darüber, die drei Reisetaschen stellten sie auf die Rücksitzbank.
»Silke, setz dich schon mal rein, ich schiebe den Gepäckwagen zurück und stelle ihn vor dem Lift ab.«
»Alles klar, den schwierigsten Teil haben wir jetzt ja geschafft, Dietmar.«
»Von wegen, vergiss bloß nicht die Entsorgung der Leiche. Das ist komplizierter, als du denkst. Ich bin gleich wieder da.«
Gerald und Babs hatten die Nacht in Alfreds „altem Pössl“ verbracht. Nach dem ereignisreichen gestrigen Tag mit den Gangstern im Reisebus, dem Amokläufer im Supermarkt und der langen Fahrt nach Chamonix waren sie in dem Wohnmobil erschöpft eingeschlafen. Die Nacht in der Tiefgarage war sehr ruhig gewesen, sie schliefen tief und fest bis 9.30 Uhr. Babs hatte mit ihrer Oma vereinbart, sich um 10.30 Uhr im Frühstücksraum zu treffen.
»Gerald, ein paar Runden Schwimmen im Hotelpool vor dem Frühstück würde mir jetzt Spaß machen. Aber leider habe ich ja meine Reisetasche im Supermarkt stehen lassen, da war auch der Badeanzug drin.
»Wenn keiner da ist, kannst du nackig reinspringen, mein Schatz.«
»Ganz toll. Dies zum Thema „Bloß nicht auffallen“. Meine Oma hat wahrscheinlich keinen Badeanzug dabei, den sie mir leihen könnte.«
»Vermutlich nicht. Aber du kannst sie ja fragen. Du, ich möchte mich hier im Wohnmobil noch rasieren. Geh doch schon mal zum Frühstücken, ich komme in Kürze nach.«
»Okay, bis gleich, Bussi.«
Babs trug den weißen Hélios-Morgenmantel, den ihr ihre Oma gestern Nacht überlassen hatte. Sie ging am Lift vorbei, fünf Minuten bevor Silke und Dietmar mit dem Gepäckwagen herauskommen würden. Während sie die Leiche im Daccia unterbrachten, rasierte sich Gerald im Wohnmobil — dieses stand nur fünfzehn Meter von Dietmars Auto entfernt, allerdings um die Ecke, so dass Gerald nichts davon mitbekam, was die Bronzos trieben.
Dietmar wollte gerade los, um den leeren Gepäckwagen zurück zum Lift zu rollen, da sah er von weitem einen Mann im weißen Morgenmantel, in Badelatschen und mit Rucksack, welcher sich zum Tiefgaragenausgang bewegte. Der Mann war nur von hinten und kurz im Profil zu sehen gewesen, aber Dietmar war sich absolut sicher. Es war NEUMANN! Was tat der Typ hier, verdammt! Hatte er sich ebenfalls im Hélios eingemietet? Aber wieso war er im Morgenmantel in der Tiefgarage? In Dietmar stieg die Wut hoch. Dieses Arschloch tauchte immer wieder unvorhergesehen auf — und zwar genau zum ungünstigsten Zeitpunkt. Hatte Neumann vor, in den Wellnessbereich zu spazieren? Es sah ganz danach aus. Er war durch die Türe gegangen, ohne sich umzudrehen. Wahrscheinlich hatte Neumann nicht mitbekommen, was er und Silke in den Kofferraum gepackt hatten. Aber konnte man sich da sicher sein? Dietmar ging zur Beifahrertür.
»Du Silke, ich muss noch ganz kurz was erledigen, im Hotel. Bitte warte hier auf mich, ich bin nicht lange weg.«
»Was hast du denn vor, außer den Gepäckwagen zurückzubringen?«
»Erzähle ich dir später, vertrau mir. Bis gleich, Mäusle.«
Silke war skeptisch. Das Vertrauen ihn ihren Gatten war mittlerweile aus gutem Grunde beeinträchtigt. Es schien ihr, als hätte er sich nicht mehr richtig im Griff. Sie wollte schnellstens weg von diesem Ort.
Dietmar vergewisserte sich, dass er seine Dienstwaffe dabei hatte, dann ging er ohne den Gepäckwagen los, welcher ihn nun nicht mehr interessierte. Es gab jetzt Wichtigeres zu tun. Er folgte der Beschilderung zum Wellnessbereich. Dietmar trat in die Umkleide und holte die Pistole heraus. Nur zur Sicherheit. Er würde Neumann jetzt endgültig erledigen. Aber natürlich lautlos. So wie es im Meersburger Dampfbad — beinahe — geklappt hätte. Es war sonst niemand da. Die Leute befanden sich wohl alle beim Frühstücken. Er zog sich aus und wickelte sich eines der Badehandtücher um, welche in einem Holzregal gestapelt waren. Dann ging er leise in die kleine Halle mit dem Swimmingpool. Man hatte sich für die Wellnessgäste etwas einfallen lassen: Deckenstrahler färbten die Wasseroberfläche abwechselnd effektvoll mit blauem, grünem und blutrotem Licht. Beeindruckend sah das aus, aber dafür hatte Dietmar jetzt keinen Sinn. In dem Pool schwamm Neumann ganz alleine. Was für eine Gelegenheit!
Dietmar legte die Waffe unter eine Liege, ließ das Handtuch auf den Fliesenboden fallen und sprang mit einem lauten Klatscher in den grün beleuchteten Pool. Das Wasser war kalt, aber ihm war heiß vor Rage auf seinen Widersacher. In dem Wasser konnte man gut stehen. Gerald drehte sich nach dem neuen Poolbesucher um, da eilte Dietmar schon auf ihn zu, wortlos, aber mit scheußlich hasserfülltem Gesicht.
Gerald sah mit Entsetzen, wer da mit ihm plötzlich im Wasser war. Er musste raus hier, aber es war schon zu spät. Der Kommissar näherte sich mit Urgewalt, packte ihn mit seinen Pranken an der Schulter und versuchte ihn nach unten zu drücken, um ihn zu ertränken. Doch Geralds Hass auf Dietmar war keinesfalls geringer als der von Dietmar auf ihn. Das verschaffte Gerald Kräfte, die er sicher sonst nicht hätte mobilisieren können. Das fette Schwein würde ihn dieses Mal nicht bezwingen können. Gerald entglitt ihm und ging zum Angriff über. Er stieß seine Zähne mit voller Wucht in Dietmars Nacken und biss tief in das fette Fleisch, dass das Blut heraustriefte und sich mit dem rot beleuchteten Wasser vermischte. Dietmar versuchte Geralds Kopf wegzudrücken. Dieser packte Dietmar hart an der Gurgel. Dietmar umschlang ihn und wuchtete ihm das rechte Knie in den Magen. Gerald japste nach Luft. Nun warf sich Dietmar auf ihn und wollte ihn unter Wasser halten, bis Gerald die Luft ausgehen würde. Gerald bekam Dietmars Weichteile zu fassen und quetschte seine Eier so fest, dass der Kommissar ablassen musste. Gerald kam hustend wieder hoch, einen Moment standen sie sich in dem giftgrünen Wasser gegenüber. Dann brüllten beide wie zwei wilde Tiere und schlugen aufeinander ein, mit allem was sie hatten. Purer Vernichtungsdrang. Dietmar fing nun ebenfalls an, Gerald zu beißen, dieser riss Dietmar ein Büschel Haare aus und quetschte ihm die kaum verheilte Nase, so dass sie erneut brach. Dietmar schlug Gerald mit der Faust auf den Mund, dass es knirschte. Gerald spuckte einen Zahn aus und stieß mit den Fingern seiner rechten Hand über Dietmars blutige Nase, dessen Augen verfehlte er nur knapp.
»GERALD!« Das war Babs, im Morgenmantel.
»DIETMAR!« Das war Silke, im Kostüm.
Die Kämpfenden hörten sie nicht, da sprangen beide Frauen, wie sie waren, in den Pool und versuchten mit größter Anstrengung, ihre Männer auseinander zu bringen. Das war alles andere als leicht für sie, aber von schmerzhaften Attacken blieben die Damen zumindest verschont.
»AUFHÖREN! HÖRT SOFORT AUF!«
Nach einer Weile hatten sie es geschafft, die Männer zu separieren. Babs schob ihren Gerald an den Rand des Pools, Silke ihren Dietmar auf die gegenüberliegende Seite. Beide Männer schnauften und sahen sich giftig an. Babs kletterte aus dem Pool und lief zu Geralds Rucksack, den sie schon vorher auf einer Liege gesehen hatte. Sie holte eine der beiden Pistolen heraus und richtete sie auf Dietmar.
»Keine Bewegung mehr, sonst knalle ich Sie ab.«
Und Silke zu ihrem Mann: »Du machst jetzt nichts, hast du verstanden? KAPIERT?« Dann sagte sie zu Babs: »Bitte nehmen Sie die Waffe runter. Ich verspreche, dass er ihren Freund nun in Ruhe lässt. Bitte lassen Sie uns gehen. Wir wollten das Hotel sowieso gerade verlassen.«
Gerald kletterte langsam aus dem Wasser und blieb am Beckenrand liegen. Er war vollkommen erschöpft, blutete an den Lippen und am rechten Oberarm, wo ihn Dietmar mehrmals gebissen hatte. Dietmar musste die Stufen nehmen, um aus dem Pool zu kommen, er war ebenfalls so erledigt, dass er sich kaum mehr bewegen konnte. Er blutete am Nacken und stark an der Nase. Babs und Silke saßen, ebenfalls durchnässt, bei ihren Männern und waren entsetzt, wie sich jene gegenseitig zugerichtet hatten. Dietmar schaute sich nach seiner Dienstwaffe unter einer Liege um, aber Silke sah sie auch.
»UNTERSTEH DICH! Willst du erschossen werden? Der Kampf ist vorbei. VORBEI!« Er röchelte und spuckte Blut.
»Hören Sie, ist es okay, wenn wir jetzt gehen, Frau Raubinger? Ich verspreche Ihnen, dass Herr Neumann niemals mehr etwas hören wird von meinem Mann. Das ist jetzt endgültig vorbei. Sie werden nicht mehr verfolgt werden, dafür sorge ich.« Und zu Dietmar: »Hast du verstanden? Sag JA! Sag endlich JA! Sonst verlasse ich dich auf der Stelle.«
Dietmar Bronzo glotzte zu Gerald und seiner Freundin hinüber. Er musste jetzt auf Silke hören. »Lassen wir es gut sein, Neumann. Wir sind mehr als quitt. Ich habe die Schnauze sowas von voll. Sie haben sich verdammt gut geschlagen, Respekt. Also: Für mich ist diese Sache jetzt endgültig beendet.« Dabei dachte er natürlich auch an die andere Baustelle: die Leiche, welche dringend entsorgt werden musste.
Und Gerald: »Okay, Bronzo, mir reicht es schon lange. Ich werde sowieso nicht zurück nach München gehen, versuche mich woanders niederzulassen. Und ein allerletztes Mal versichere ich Ihnen: Ich habe Frau Landauer nicht erschlagen. Das wird irgendein Einbrecher gewesen sein, ICH war es definitiv NICHT.«
»Geschenkt, Neumann, geschenkt.«
Dietmar versuchte aufzustehen, Silke half und stützte ihn. Dann gingen die beiden langsam in die Umkleide. Dietmar duschte heiß, Silke half ihm beim Anziehen. Um seinen blutenden Nacken wickelte sie ein Handtuch. Für die Nase gab es einen Packen Kleenex. Wieder in der Tiefgarage, suchte Silke hinter Brigittas Leiche nach dem Verbandskasten, um Dietmars Wunden zu desinfizieren und zu verbinden.
»Wir fahren jetzt heim, Dietmar. Ich fahre. Wenn ich mich von den nassen Klamotten befreit und umgezogen habe.«
»Und die Leiche, Mäusle?«
»Scheiß auf die Leiche, die werfen wir irgendwo in eine Schweizer Schlucht.«
Babs ging mit Gerald ein paar Türen weiter, wo eine Hotelangestellte an der „Wellness-Theke“ stand. Diese half, Gerald zu verarzten. Die Bisswunden waren arg und demnächst würde ein Besuch beim Zahnarzt nötig sein.
»Um Gottes Willen, wie ist das denn passiert?«
»Das war ein Wahnsinniger. Aber der ist jetzt weg, alles in Ordnung. Komm, Gerald, wir gehen zum Frühstücken. Und dann überlegen wir in aller Ruhe, wohin wir als Nächstes reisen. Vielleicht mit Oma und Alfred nach Italien.«
»Das klingt gut, mein Schatz.« Und flüsterte Babs noch zu: „Aber die Pistolen behalte ich. Man weiß ja nie, wem man in Zukunft begegnet.«
»Oh Gott, Gerald, das mit Bonnie und Clyde wird wohl nie enden.«
Gerald grinste sie mit seiner neu erworbenen Zahnlücke schräg an.
ENDE
Abbildung: Zinkl